Ellorans Traum
schluckte und strich mir über den Kopf, und Uliv räusperte sich verlegen.
»Gut, dann bringe ich dich morgen früh zu Senn. Geh jetzt zu Bett, Elloran.« Er drückte kurz meine Schulter, und Leena und er gingen hinaus. Ich saß noch eine Weile am Tisch und ging dann hinüber zur Scheune.
Schlaflos lag ich im duftenden Stroh und grübelte. Was wäre gewesen, wenn ich ein richtiger Mann gewesen wäre und nicht T'svera? Hätte ich meine Schwester vergessen, Nikal, sogar Tom – und wäre geblieben, um Rhian zu heiraten? Eine Schar Kinder wie die kleine Magali in die Welt zu setzen, auf dem Feld zu arbeiten, alt zu werden mit Enkelkindern um meine Knie ... nichts davon würde mir je beschieden sein. Was war mein Platz in dieser Welt?
Die Scheunentür knarrte, und etwas raschelte auf mich zu. »Elloran?« flüsterte eine Stimme. Ich setzte mich auf. Ein fester, warmer Körper drückte sich eng an mich. Ich roch Rhians unverwechselbaren Duft nach Sonne und frischgemähtem Gras. Wieder mußte ich an Tom denken. Rhian suchte meine Hand und drückte mir etwas hinein. Das Lederband. Ich mußte schlucken. Dann gab ich es ihr zurück. Sie schluchzte leise auf und legte ihre Arme um mich. »Ich habe dich so lieb«, flüsterte sie. »Aber ich möchte Kinder haben. Ganz viele Kinder. Das verstehst du doch?« Ich nickte. Ihr Kopf lag an meiner Schulter und ihr Gesicht war ein heller Fleck in der Dunkelheit. Ohne nachzudenken beugte ich mich zu ihr und suchte ihren Mund. Jung und süß lag er unter meinen Lippen und erwiderte arglos meinen Kuß. Ich löste mich widerwillig von ihr und schob sie fort. Sie stand gehorsam auf und trat noch einen Augenblick lang unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. Dann hauchte sie: »Leb wohl, Elloran.« Die Tür öffnete und schloß sich, und ich war wieder allein mit mir und meinen brennenden Augen in der raschelnden Dunkelheit.
10
I n aller Frühe weckte Uliv mich, während Leena still in der Tür des Hauses stand und darauf wartete, mir einen Beutel mit liebevoll zurechtgemachtem Proviant zu geben. Ich umarmte sie mit Tränen in den Augen. Sie legte eine Hand auf meinen Scheitel und flüsterte einen Segen. Dann trat sie ins Haus zurück und schloß die Tür. Uliv saß auf einem offenen Karren, der mit Getreidesäcken beladen war und reichte mir eine Hand, um mir auf den Bock zu helfen. Der kräftige Braune, der vorgespannt war, zog an, und wir kutschierten langsam vom Hof. Ich warf einen letzten Blick zurück auf das Haus und erhaschte einen Schimmer von Rhians Gesicht in einem der Fenster.
Die kühle Morgenluft machte mich trotz meiner Jacke frösteln. Der Bauer saß schweigend neben mir, und wir fuhren durch die üppigen Hügel L'xhans. Das hier war die Heimat meiner Mutter und Großmutter, für die ich bisher keine Augen gehabt hatte. Mein Ziel, die Kronenburg, war endlich in greifbare Nähe gerückt. Meine Lebensgeister erwachten, und ich sah mich neugierig um. Hinter uns klatschten Flügel. Eine vertraute Stimme kreischte laut und etwas erbost. Die ungetreue Magramanir hatte sich seit dem Überfall auf unser Lager nicht mehr sehen lassen.
Mit einem besonders häßlichen Begrüßungskrächzen landete die kleine Rabenfrau auf meiner Schulter und sah mich aus schwarzen Knopfaugen beleidigt an. Dann begann sie mit heftigen Bewegungen, ihren weißen Bauch zu putzen. Ich kramte ein Stückchen Käse aus meinem Vorratsbeutel und bot es ihr an. Sie nahm den Brocken besänftigt entgegen und verschlang ihn gierig. Ich strich über ihren glänzend schwarzen Kopf und dachte: Nicht ich habe dich sitzen lassen, kleine Freundin. Sie sah mich an, als hätte sie mich verstanden und lachte.
Uliv hatte alles mit offenem Mund beobachtet. »Gehört der Vogel dir?« fragte er erstaunt. Ich nickte der Einfachheit halber. »Ich habe noch nie gehört, daß man Raben zähmen kann«, sagte er beeindruckt. Ich gluckste amüsiert. ›Zahm‹ und ›Magramanir‹ meinten nicht gerade dasselbe.
»Du bist ja nicht besonders gesprächig heute«, sagte Julians fröhliche Stimme auf meiner Schulter. Erschreckt blickte ich zu Uliv hinüber, aber der sah ungerührt geradeaus auf die Ohren seines Pferdes.
»Keine Angst, er hört mich nicht. Wie ist es dir denn in der letzten Zeit so ergangen?« Hörte ich da einen höhnischen Unterton in Julians Stimme, oder war ich in meiner Behinderung überempfindlich geworden? Hilflos und stumm blickte ich in Mags Augen. »Na gut, wenn du nicht mit mir reden willst ...«,
Weitere Kostenlose Bücher