Ellorans Traum
Ich mußte eingenickt sein. Rhian war wieder bei der Arbeit und hatte mein Lederband um ihr Handgelenk gewickelt. Es gab mir einen kleinen Stich, ich mußte an Ranan und ihre verhaßten Armbänder denken. Uliv grinste mich wissend an, und ich schlug die Augen nieder. Rhian warf mir verstohlene Blicke zu. Ich setzte eine nichtssagende Miene auf und machte mich wieder daran, die geschnittenen Halme zu Garben zu binden. Mein Haar, durch die Sonne inzwischen um einige Schattierungen heller, klebte mir bald unangenehm am Nacken und im Gesicht. Ich sah Rhian flehend an, aber sie stellte sich, als verstünde sie nicht.
Das Abendessen verlief ungewöhnlich schweigsam, und Uliv schickte die Mädchen früher als sonst und in sehr bestimmtem Ton ins Bett. Er bedeutete Rhian, sie möge noch bleiben und schloß die Tür hinter der neugierig flüsternden Schar. Leena holte eine kleine Kanne aus dem Schrank und schenkte vier Becher daraus ein. Lächelnd stellte sie einen vor mich hin und sah mich erwartungsvoll an.
»Probier einmal, Elloran. Das ist Apfelwein, der beste, den du je gekostet hast.« Ich nippte daran und mußte ihr rechtgeben. Der Trank war köstlich, süß und herb zugleich und mit dem Duft von tausend sonnigen Tagen und kühlen Nächten. Uliv räusperte sich. Ich ahnte, was mich erwartete und sollte mich nicht getäuscht sehen.
»Elloran, ich – wir – wollten etwas mit dir besprechen. Üblicherweise sollte das nicht im Beisein unserer Tochter stattfinden, aber da sie die einzige von uns ist, die dich versteht ...«, er hielt inne und drehte verlegen den Becher in seiner schwieligen Hand. Dann kam er zur Sache.
»Ich bin kein Mann des Wortes, Elloran. Ich weiß, daß du meiner Tochter gefällst und habe das Gefühl, daß sie dir auch nicht ganz gleichgültig ist, oder täusche ich mich?« Seine hellen Augen betrachteten mich scharf. Ich schüttelte den Kopf. Er nickte befriedigt und fuhr fort. »Du bist ein guter Junge, du hast ordentlich mit angepackt und dich vor keiner Arbeit gedrückt. Leena und ich meinen – also, wir wären glücklich, wenn – ach, verdammt! Möchtest du unser Schwiegersohn werden, Elloran?« Erwartungsvolle Stille. Rhians Augen klebten voller Hoffnung an mir, dann schlug sie sie errötend nieder. Zögernd griff ich nach dem rußigen Span, den Rhian mir wie immer hingelegt hatte, und schrieb: Ich wäre gerne dein Eidam, Uliv. Aber du solltest etwas wissen, das gegen eine Hochzeit spricht. Rhian las es mit stockender Stimme vor und sah mich dann groß und enttäuscht an. Uliv runzelte die Stirn, und seine Frau seufzte leise.
»Was sollte denn gegen die Verbindung sprechen?« fragte er ruhig. Ich biß mir auf die Lippe und schrieb mit Todesverachtung: Ich bin kein Mann, ich bin T'svera. Der Span fiel mir aus der Hand, und ich schloß beschämt die Augen. Immer noch fiel mir diese Aussage schwer. Ich hörte Rhian mit ungläubiger Stimme vorlesen. Dann lag eine dröhnende Stille über dem Tisch. Sie wurde gebrochen von einem heftigen Aufschluchzen des Mädchens und dem Geräusch ihrer Schritte. Die Tür schlug zu. Ich öffnete meine Augen und sah in die betroffenen Gesichter Ulivs und Leenas.
»Ist das wahr?« fragte Uliv leise. Ich nickte. Er seufzte und verbarg sein Gesicht in den Händen. Leena legte still ihre Hand auf meine und drückte sie kurz. Ich konnte ihre Gedanken in ihrem offenen, freundlichen Gesicht deutlich lesen: Nicht nur stumm, auch noch eine Mißgeburt. Im Stillen mußte ich ihr rechtgeben. Es wäre schön gewesen, das Mädchen zu heiraten. Aber nun – ich mußte weiter.
Uliv war zu demselben Schluß gekommen. Er ließ seine Hände sinken und sah mich traurig, aber entschlossen an. »Du warst doch unterwegs zu deinen Großeltern in der Kronstadt. Ich denke, es wäre gut, wenn du dich wieder auf den Weg machtest. Ich will dich nicht hinauswerfen, aber ...« Er stockte unbehaglich. Ich lächelte ihn an und nickte, um zu zeigen, daß ich seiner Meinung war. Erleichtert fuhr er fort: »Mein Nachbar Senn bringt bald eine Lieferung mit Wein und Käse zur Burg. Er nimmt dich sicher mit, wenn ich ihn darum bitte. Dann brauchst du nicht zu laufen.«
Ich war gerührt. Warum machte er sich Sorgen darum, wie ich zur Burg kam? Wie gerne hätte ich Leena und Uliv für ihre Güte und Freundlichkeit gedankt, mit der sie mich aufgenommen hatten. Ernüchtert öffnete ich den Mund und schloß ihn sofort wieder. Ich ergriff beider Hände und drückte sie an mein Gesicht. Leena
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