Elsa ungeheuer (German Edition)
in dem Restaurant, in dem Jaap servierte. Unüberhörbar und auf Deutsch echauffierte sich die alte Dame über ihre frustrierende Suche nach Personal. Sie brauchte einen Gärtner, der den paradiesischen Park der Vorbesitzer ihrer Villa dem Erdboden gleichmachen und durch einen englischen Rasen ersetzen würde. Und zwar sofort.
»Sofort heißt sofort, und nicht erst in vier Wochen.«
Onkel Jaap ergriff seine Chance und bot der Dame seine Dienste an.
»Wann können Sie anfangen?«, fragte sie.
»Sofort«, antwortete er, stellte das Lachsfilet auf den Tisch und zog seine weiße Schürze aus.
»Sie gefallen mir«, sagte Irina Graham.
Jaap wohnte mietfrei in dem Häuschen, das auf Mrs. Grahams Grundstück stand. Innerhalb kürzester Zeit zerstörte er die Teichlandschaften, die wilden Hecken, fällte Apfel- und Kirschbäume, stampfte Blumenbeete ein und beauftragte eine Firma, den gewünschten englischen Rasen anzulegen. Irina war zufrieden mit ihrem Amateurgärtner. Mehr noch, sie mochte ihn, denn Jaap beherrschte Deutsch, die Sprache ihrer Mutter, die Sprache, in der sie erzogen wurde. Und so blieb Jaap, obwohl sein eigentlicher Auftrag erfüllt war, bei ihr in Lohn und Brot.
Onkel Jaap gehörte zu den Menschen, für die Worte wie ›vertraulich‹ oder ›geheim‹ keinerlei Bedeutung hatten.
Aus ungefilterten Gedanken wurden augenblicklich Sätze. Ohne Unterlass ertönte seine Stimme, als könne er Stille nicht ertragen. Trotz der bisweilen nervenaufreibenden Dauerbeschallung musste man ihn einfach gernhaben. Er war hilfsbereit, gütig und höflich.
Noch bevor wir die Grahamsche Villa erreicht hatten, kannten wir den Lebenslauf ihrer Besitzerin. Es begann mit der harmlosen Information: »Frau Graham hat gesagt, dass die Kinder bei ihr schlafen können, dann müssen wir uns nicht alle in mein Häuschen quetschen«, und endete mit Rembrandts Andromeda an den Felsen gekettet , Exponat 707 des Mauritshuis-Museums. Manchmal unterbrach er seinen Monolog, sah zu Randolph und fragte ein wenig verunsichert: »Habe ich dir das alles schon letztes Jahr erzählt?«
Jedes Mal verneinte unser Vater, worauf Onkel Jaap selig lächelte.
Irinas Mutter Elfriede Schuller wurde in dem Jahr geboren, als Kaiser Wilhelm II . seinen Reichskanzler Bismarck entließ. Ihr Vater war ein Berliner Industrieller, ihre Mutter starb bei der Geburt ihres ersten und einzigen Kindes.
Obwohl Herr Schuller Elfie über alles liebte, ja sie für das bezauberndste Geschöpf auf Gottes Erden hielt, glaubte er nicht daran, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen könnte. So galt es, den besten Ehemann für das Mädchen zu finden. Wer der Beste war, entschied natürlich Schuller selbst. Hätte man die junge Elfriede gefragt, wie sie sich ihre Zukunft vorstellte, so hätte sie vom Zirkus geschwärmt, von einer Karriere als Seiltänzerin mit einem Schirmchen und einem Ballettröckchen. Niemals hatte sie versucht, diesen Traum zu verwirklichen, denn Elfriede war vor allem eines: bequem. Selbstverständlich, wäre ein Zirkusdirektor vorbeigekommen und hätte sie aus dem Haus geführt, sie wäre ihm freudestrahlend gefolgt. Doch kein Zirkusdirektor klopfte jemals an ihre Tür.
Vier potentielle Ehemänner lehnte Elfriede mit einer solchen Vehemenz ab, dass Herr Schuller sich geschlagen gab. Aber als ein Arzt bei dem Industriellen Leberkrebs diagnostizierte, war seine Geduld mit seiner Tochter am Ende. Schließlich ging es nicht nur um ihr Glück, sondern auch um ihr Erbe. Ein hart erarbeitetes, beachtliches Vermögen. Was hätte das Leben für einen Sinn gehabt, wenn nach seinem Tod alles verlorenginge? Und er hatte keinen Zweifel daran, dass seine Tochter einem Betrüger aufsitzen oder sein Imperium sonstwie innerhalb kürzester Zeit vernichten würde und am Ende mittellos dastünde.
Also ließ er bei Kandidat Nr. 5 keine Widerworte gelten. Aus Faulheit, aus Mangel an Energie beugte sich Elfie ihrem Schicksal.
Eigentlich hätte es einfach sein müssen, Harry Graham zu lieben. Ein gebildeter, gutaussehender junger Amerikaner. Die Grahams besaßen Stahlwerke und Anteile an zwei Reedereien. Harrys Vater und Herr Schuller unterhielten geschäftliche Verbindungen.
Während Harry sich schon bei der ersten Begegnung mit seiner zukünftigen Frau für ihre verträumte, etwas lethargische Art begeistern konnte, beschloss Elfie, den jungen Mann auf ewig zu verabscheuen. Und nicht nur ihn, auch ihre neue Heimat, New York. Obwohl sie die Sprache schnell
Weitere Kostenlose Bücher