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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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lernte, weigerte sie sich, Englisch zu reden, zumindest mit Harry.
    Je mehr sich Elfie entzog, desto verzweifelter suchte Harry nach einer Möglichkeit, zu seiner Frau durchzudringen. Seine Bemühungen reichten von einem Wochenendhaus in den Hamptons über diamantbesetzte Colliers und drei Dalmatiner bis hin zur Suche nach gemeinsamen Interessen. Aber Elfie mochte weder das Haus noch den Schmuck noch die Hunde. Ihr missfielen die Konzerte und Theaterstücke, die ihn entzückten, und jede Sportart, die ihrem Mann Vergnügen bereitete, langweilte sie tödlich.
    Nach vier Jahren Ehe, kurz bevor Harry kapitulieren wollte, ereignete sich das Wunder.
    Im Februar 1913 fand in New York die ›Armory Show‹ statt, eine gigantische Ausstellung moderner Kunst. Gezeigt wurden über 1200 Werke. Picasso, Matisse, Kandinsky und Duchamp waren vertreten, ebenso die Wegbereiter der Moderne: Cézanne, van Gogh, Gauguin. Jüngste kubistische Werke aus den Pariser Ateliers und Skulpturen von Lehmbruck und Brancusi waren zu sehen.
    Was Harry so lange zu erzwingen versucht hatte, geschah nun von selbst. Ein verbindendes Element brachte Mr.   und Mrs.   Graham zusammen: die Kunst.
    Ihre Gefühle für die modernen Meisterwerke als Leidenschaft zu bezeichnen, wäre untertrieben. Liebe ist hier das einzig richtige Wort.
    Als Elfie vor Duchamps Akt, eine Treppe herabsteigend stand, das in der Presse verspottet und verhöhnt wurde, nahm sie die Hand ihres Mannes und küsste seine Finger, ohne zu ahnen, dass Harry genauso empfand wie sie. Sie wanderten durch die Ausstellung, ihre Hände ineinander verschlungen, denn nicht nur Duchamps Bild überwältigte das Ehepaar, auch Dutzende andere Werke.
    Es war eine menschliche Liebe, die Elfie und Harry ergriffen hatte. Eine Liebe, die den Wunsch nach Besitz implizierte.
    Die Grahams kauften nicht als Kunstkenner, denn das waren sie weiß Gott nicht, sie sammelten, was ihre Herzen berührte. Und so hing in dem Haus in den Hamptons ein Gottlieb Zander, dessen Name in der Kunstgeschichte niemals Bedeutung erlangen sollte, zwischen einem Klee und einem Matisse. Elfie wohnte jetzt durchgehend in dem mit Kunst vollgestopften Wochenendhaus. Ihren Mann bekam sie meist nur sonntags zu sehen. Doch die wenigen gemeinsamen Stunden waren von Freundschaft und Glück erleuchtet.
    1914 kam Irina zur Welt, und 1916 starb Harry Graham an einer Blutvergiftung.
    Elfriede bemühte sich, eine gute Mutter zu sein, und versuchte in ihrer Tochter die Willensstärke und Kraft zu wecken, an der es ihr selbst zeitlebens gemangelt hatte.
    »Irina, wenn du zum Zirkus willst, dann tu es.«
    »Ich will nicht zum Zirkus, Mama.«
    »Bist du dir sicher?«
    »Ganz sicher.«
    »Irina, du musst nicht heiraten.«
    »Ich weiß, Mama.«
    »Ich werde dir keinen Mann aufdrängen.«
    »Ich weiß, Mama.«
    »Und wenn ich es doch tue, dann musst du dich mir widersetzen.«
    »Das werde ich.«
    »Mit all deiner Kraft?«
    »Mit all meiner Kraft, Mama.«
    Aber das Wichtigste in den Hamptons war und blieb die Kunst.
    »Irina«, sagte Elfriede gerne, »eigentlich sind diese Bilder und Skulpturen deine Eltern.«
    Oft saß das Mädchen stundenlang vor einem Gemälde und betrachtete es. Zu bestimmten Künstlern hatte sie eine größere Affinität als zu anderen. Einige Werke fand sie berauschend schön oder verwirrend, aber keines löste diese tiefe Liebe aus, die Elfriede für jedes einzelne Stück in ihrem Haus empfand.
    Sobald Mrs.   Graham etwas Neues erstanden hatte, zeigte sie es Irina.
    »Kannst du es fühlen?«
    »Nein, Mama, nur sehen.«
    Wie ihrem Mann war Elfriede kein langes Leben beschieden. Im Alter von 41   Jahren stürzte sie mit einer Skulptur von Aristide Maillol die Treppe hinunter und brach sich und der marmornen Frau das Genick.
    Irina war siebzehn, Vollwaise, Erbin zahlreicher Kunstwerke und so vermögend, dass sie niemals würde arbeiten müssen.
    Im Gedenken an ihre Eltern verwaltete und erweiterte sie die Sammlung. Da ihr Herz schwieg, musste sie auf ihren Verstand und ihre Augen vertrauen, die sich als treffsicher erwiesen. Geradezu prophetisch wirkten manche Entscheidungen. Lange vor allen anderen kaufte sie Werke von Jackson Pollock, Mark Rothko und Clyfford Still, später von Rosenquist, Rauschenberg und Warhol.
    Bald schon gehörte Irina Graham zu den einflussreichsten Kunstsammlern Europas und Amerikas.
    Was genau zwischen ihrem siebzehnten Lebensjahr und dem Hier und Jetzt geschehen war, erfuhren wir nicht.
    Jaap

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