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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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Elsa. Du hast dich freiwillig gemeldet.«
    »Na und? Trotzdem ist er dumm.«
    »Ist er nicht, ich kenne ihn schon viel länger als du. Er ist mutig und hat verdammt viel Ahnung von allen möglichen Dingen.«
    »Wehrlose Schweine abschlachten ist also mutig, ja? Und was kann er sonst noch, he? Wovon hat er so tolle Ahnung?«
    Lorenz überlegte.
    »Na, fällt dir nichts ein? Vielleicht, weil du genauso dumm bist wie er?«
    »Das nimmst du sofort zurück.«
    »Nehm ich nicht.«
    »Doch.«
    »Nein.«
    So ging es bis zum Ende der Herbstferien. Und dann sprachen sie nie mehr davon.
    Weihnachten musste Elsa mit den Gröhlers an die Nordsee fahren. Dort lebten die Eltern von Hubertus und Gustav. Noch vor Hubertus’ Hochzeit mit Mathilde waren die Alt-Gröhlers, die beide schwache Lungen und eine Menge Krankheiten hatten, an die See gezogen.
    Elsa kam, um sich zu verabschieden.
    Am Abend zuvor hatte ich meinen Vater überredet, ihr eine Kette von Hanna schenken zu dürfen. Gemeinsam hatten wir die Schmuckschatulle meiner toten Mutter geöffnet. Ich wusste genau, welche ich wollte. Sie war aus Silber, und an dem Kettchen hing ein ebenfalls silberner Tierkopf. Niemals hatten wir herausgefunden, ob es sich um einen Wolf oder einen Hund handelte. Je nach Lichtverhältnissen und Blickwinkel schien der Kopf sein Wesen zu ändern. Randolph war mit meiner Wahl einverstanden gewesen.
    »Ich will da nicht hin«, sagte Elsa.
    »Vielleicht sind sie ja nett.«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Warum bleibst du nicht hier?«, fragte Lorenz. Im Moment herrschte Frieden zwischen den beiden. »Du kannst bei uns wohnen.«
    »Darf ich nicht… Ich hasse sie.«
    Und dann fuhr auch schon der Audi auf unseren Hof und die Hupe ertönte. Elsa sprang auf, ich geleitete sie nach unten.
    Wir standen vor der Haustür. »Das ist für dich. Zu Weihnachten.«
    Elsa betrachtete die Kette. »Ein Wolf oder ein Hund«, sagte sie und lächelte.
    Mit zitternden Fingern band ich die Kette um ihren Hals.
    Die rechte Hand schützend über den Tierkopf gelegt, sah Elsa mich an. »Danke, Fetti.«
    Sie umarmte mich. Flüchtig, vielleicht nicht einmal mit Absicht, streiften ihre Lippen meine Wangen. Eine Berührung, von der ich mich nie wieder erholen sollte.

2
     
    Ein Hieb gegen die Schulter. Der Geruch von Erde. Elsa saß auf meinem Bett. Seit Tschernobyl trug sie immer ein paar Pilze bei sich, die sie wie Waffen einzusetzen pflegte. Einmal hatte sie mit einem einzigen Pfifferling sämtliche Nesshauers in die Flucht geschlagen.
    So richtig begriffen hatten wir Kinder das Unglück in der Ukraine nicht. Nur, dass etwas Schreckliches geschehen war, dass man sterben oder schmelzen würde, sollte man das Falsche essen oder in einem Sandkasten übernachten.
    Gerüchte kursierten, dass es bald Kühe mit drei Köpfen geben könnte und Menschen mit vier bis sechs Armen. Wir hielten Ausschau nach diesen Mutationen, aber die Wochen vergingen, ohne dass wir ein solches Lebewesen entdeckt hätten.
    Tschernobyl war unsichtbar. Pilze und Blaubeeren, die Elsa so leichtfertig in die Hände nahm, die größte Gefahr.
    Eine Rotkappe baumelte direkt über meinem Kopf und steigerte die Panik, die mich seit Lorenz’ Umzug ohnehin allmorgendlich überfiel. Vor einem Monat, an seinem elften Geburtstag, hatte mein Bruder beschlossen, dass es Zeit für ein eigenes Zimmer sei. Er wohnte jetzt eine Etage tiefer. Ich gewöhnte mich nur schwer daran, nach dem Erwachen das Nichts zu erblicken anstatt Lorenz.
    »Elsa, mach das weg.«
    Sie sah mich an, sah den Pilz an und leckte mit ihrer Zungenspitze über die Rotkappe.
    »Wenn du verstrahlst, bist du tot.«
    »Und, glaubst du etwa, ich hab Angst, Fetti?«
    »Nein… Ich…«
    »Rate mal, was?«
    »Was?«
    »Du sollst raten.«
    »Was denn?«
    »Ich darf mit.« Sie boxte mir vor Freude auf die Brust. »Ich darf mit.«
    »Wirklich? Sie haben’s erlaubt?«
    »Ja.«
    »Warst du schon bei Lorenz?«
    »Nein.«
    Seit Elsas Lippen im Winter meine Wange gestreift hatten, zählte ich: Wie oft schenkte sie meinem Bruder eines dieser seltenen Lächeln, wie oft mir?
    Wie oft setzte sie sich bei der Gutenachtgeschichte neben mich, wie oft neben Lorenz?
    Wie oft erzählte sie zuerst mir ihre Neuigkeiten, wie oft ihm?
    Noch immer wollte ich, dass Lorenz und sie die gleichen Wege einschlugen, aber seit jener Berührung sehnte ich mich danach, an Elsas Seite zu gehen und nicht hinter den beiden.
    Vor einem Jahr hatte Randolph Brauer seine tote Frau in einem

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