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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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heilig. Zwischen den Gräbern schien Elsa mir näher zu sein als draußen unter den Lebenden.
    Nicht nur die restlichen Krawatten des Murmeltiers waren in ihren Besitz übergegangen, auch die Zigarrenkiste samt Inhalt hatte sich seine Königin geschnappt und gewöhnte sich das Rauchen an.
    Außerdem führte sie zeitweilig einen Kleinkrieg mit beiden Blumenläden der Stadt. Mimosen. Mangelware der Oberpfalz. Elsa vermutete eine Verschwörung und geriet dermaßen in Rage, dass ihr sowohl bei Blumen Hübner als auch bei Blumen Schlanders Hausverbot erteilt wurde. In der Drogerie fand ich ein billiges Parfum mit dem Namen ›Mimosa ‹ . Die Verkäuferin bestätigte: ›Mimosa ‹ sollte nach Mimosen duften. Doch es stank wie die Pest. Der eklig süße Geruch hielt Elsa nicht davon ab, jede Pflanze, die das Grab des Murmeltiers schmückte, damit einzusprühen.
    Wochenlang mutmaßten wir, warum das Murmeltier nur zwei Hosen, aber unzählige Krawatten besessen hatte, und kamen zu dem Schluss, dass die Fotzen und Schnallen sie ihm geschenkt haben mussten.
    Und dann waren da noch Gloria, die neunfach versprochene Ehe und das Nest Wheatley, in dem er fast sein Leben gelassen hätte. Die Geschichte, die er nie hatte zu Ende erzählen können. Wir versuchten, das Murmeltier zu imitieren, und spannen aus ›Gloria‹ mal einen Thriller, mal eine Romanze und schließlich ein Massaker. Aber jedem einzelnen Genre fehlte der Murmeltier-Zauber.
    Eine Januarnacht. 27   Tage vor Elsas fünfzehntem Geburtstag. Ich saß auf meinem Fensterbrett, dort, wo das Murmeltier unzähligen Weibern ein Denkmal errichtet hatte. Hier beschwor ich allabendlich seine Stimme herauf, damit ihr Klang nicht erlosch. Die Stimme meiner Mutter war mir bereits abhanden gekommen. An ihr Gesicht, an die Wärme ihrer Haut und auch an das, was sie gesagt hatte, konnte ich mich erinnern. Aber nicht an den Klang ihrer Stimme. Ich weiß nicht, ob sie plötzlich oder allmählich verstummt war, ob ich es überhaupt hätte verhindern können. Doch bei meinem zweiten Toten wollte ich es zumindest versuchen.
    Gerade hörte ich das Murmeltier noch einmal die Geschichte der Wienerin Tessa erzählen – rotblonde Haare, betörender Silberblick –, da lief eine Gestalt über unseren Hof Richtung Brücke. Ich erkannte sie sofort. Würde sie immer erkennen, in einer einsamen Januarnacht ebenso wie in einer Menschenmenge. Ich rannte aus dem Haus und holte sie auf der schneebedeckten Hauptstraße ein.
    »Elsa!«
    Sie drehte sich erschrocken um, rutschte mit den hohen Absätzen aus.
    »Verdammt, Fetti. Was soll das?« Ein wütender Augenaufschlag. Die Wangen gerötet, die langen Locken zerzaust. Ich reichte ihr die Hand und zog sie hoch.
    »Warst du bei uns?«
    »Spionierst du mir nach? Ich hab mir weh getan wegen dir, Fetti. Warum rennst du mitten in der Nacht draußen rum?«
    »Ich hab dich gesehen… vom Fenster, und da bin ich… Aber was machst du hier?«
    »Darf man nicht spazieren gehen?«
    »Doch.«
    Sie lief weiter.
    »Elsa!«
    »Was?«
    Ich fürchtete Elsas Hass, hatte Angst, sie ganz zu verlieren. Doch jetzt war der richtige Moment. Nein, wahrscheinlich gibt es keine richtigen Momente – aber etwas, vielleicht die Dunkelheit, vielleicht die Kälte, ließ mich auf Vergebung hoffen.
    »Elsa, bleib stehen.«
    Sie lief weiter.
    »Elsa, deine Stiefel… Gustav hat sie bezahlt. Gustav hat mir das Geld gegeben.«
    Abrupt bremste sie ab. Eine ungelenke Pirouette. Elsas Hand umfasste meine Kehle.
    »Was hast du gesagt?«
    Ich trug die Stiefel in der Hand und Elsa Huckepack. Auf meinen Wangen brannten vier Ohrfeigen.
    Der stellenweise zugefrorene Mühlbach war ein Fehlschlag gewesen. Elsa befahl mir, die Lackstiefel, die das dünne Eis zwar zum Bersten gebracht hatten, aber nicht davontreiben wollten, wieder an Land zu ziehen.
    Wir kletterten über die Friedhofsmauer, suchten hinter den Steinplatten. Fanden eine Harke, zwei kleine Schippen. Elsa bestimmte die Stelle. Ich reichte ihr meine Schuhe, aber sie nahm nur den linken. Einbeinig schaufelten wir ein Loch. Der Boden leistete Widerstand. »Nicht tief genug«, urteilte Elsa. Und ich grub weiter, immer weiter, bis sie nickte.
    Elsa warf die Stiefel hinein. Nur wir beide und die ewigen Lichter waren Zeuge, wer hier zu Grabe getragen wurde.
    Wir traten den Heimweg an. Elsa auf meinem Rücken, Elsa in meinen Gedanken.
    Als sie durch das Erkerfenster stieg, folgte ich ihr ungefragt.
    »Wenn ich gewusst hätte, dass Gustav…«

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