Elsa ungeheuer (German Edition)
lachend. Und dann vergaßen wir die Wäsche und ersannen für die Kratzlerin ein Leben im städtischen Heimatkundemuseum. Wir steckten sie in einen goldenen Käfig, bewacht von den ausgestopften Uhus. Nur von zwei bis drei Uhr würde sie ihre Stimme erheben, um vom Herzjesulein zu erzählen. Fremde würden unsere Haushälterin für ein Orakel halten, und einmal am Tag könnte man Exponat 102, ›Die älteste Frau der Welt‹, füttern, aber dafür müsste man fünf Mark extra bezahlen.
Während wir Brüder uns die Zukunft der Kratzlerin ausmalten, wie wir es schon seit Jahren taten, fühlte ich mich geborgen. Trotzdem schaute ich immer wieder Richtung Hauptstraße. Später wollte Elsa kommen, um mit uns schwimmen zu gehen. Wie glücklich ich auch sein mochte, ein Teil von mir wartete stets auf das Mädchen. Der gleiche Teil meiner selbst, der darauf hoffte, ihr eines Tages wieder nahe sein zu dürfen.
Aber es war nicht Elsa, die ich zwischen zwei Lachanfällen erblickte, sondern ein weißer Mercedes.
»Das ist doch der von Schweine-Willi. Was macht der denn hier? Wo fährt er hin?«
Lorenz zuckte die Schultern.
Elsa erschien, während wir widerwillig den Ponystall ausmisteten.
Elsa – fünfzehn Jahre, fünf Monate und eine Woche alt. Ein langes Blumenkleid. Die wilden Haare unachtsam zusammengebunden. Sie lehnte ihren Kopf gegen den Türrahmen.
»Ganz schön viel Scheiße hier.«
»Wir sind gleich fertig, dann können wir los«, gab ich zurück. Lorenz schaufelte weiter, ohne einen von uns zu beachten.
»Ich fahre morgen«, sagte Elsa.
»Was?« Ich verstand nicht, was sie meinte.
»Ich fahre morgen.«
»Wohin?«
»Nach Texas.«
»Für wie lange?«
Sie lächelte. »Für immer.«
»Aber… das… Warum? Elsa!« Hilflos sah ich von ihr zu Lorenz, aber er reagierte immer noch nicht.
»Willi und Tilman sind bei den Gröhlers. Es ist alles geregelt.«
»Schicken sie dich fort?«
»Quatsch. Ich will fort.«
»Und was machst du in Texas?«
»Ich heirate Willi.«
Die Mistgabel fiel mir aus den Händen. »Elsa, du bist fünfzehn. Du kannst nicht heiraten. Das geht nicht. Außerdem ist Schweine-Willi so dumm, dass dir schlecht wird. Und was hast du mit Rindern zu tun? Elsa, man heiratet erst, wenn man erwachsen ist.«
»Ich bin fast sechzehn. Das Gericht hat es erlaubt und die Gröhlers auch. Und meine Mutter ist ja nicht da.«
»Was für ein Gericht?«
»Keine Ahnung, ein Gericht in Texas halt. Willi hat das geklärt.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Was weiß ich… Ich brauch meine Sachen, die noch im Schrank vom Murmeltier liegen.«
»Sollen wir dir helfen?«, fragte Lorenz.
Sie nickte.
In der Nacht klopfte ich an die Tür meines Bruders. Schlaftrunken öffnete er.
»Was ist los?«
Schon die Frage verwirrte mich.
»Elsa«, sagte ich. »Elsa.«
Ich kroch in das noch warme Bett und weinte.
»Warum heulst du denn? Sie will doch weg.«
»Ist es dir denn egal, dass sie geht?«
Er antwortete nicht.
»Du konntest Elsa nie wirklich leiden, stimmt’s? Du hast sie immer geplagt und geschlagen.«
»Ach, Karl«, sagte Lorenz sanft und streichelte meinen Kopf, bis ich einschlief und von Knochen-Hunden träumte, die einem bei lebendigem Leibe die Nieren rausreißen.
Am nächsten Morgen fuhr der weiße Mercedes von Schweine-Willi auf unseren Hof. Elsa kam, um sich zu verabschieden.
»Herzjesulein, das ist nicht rechtens«, sagte unsere Haushälterin, als Willi den Koffer heruntertrug, den wir am Tag zuvor gepackt hatten. »Sie ist doch noch ein Kind.«
Der Schweinemörder und sein Vater kümmerten sich nicht um ihr Gezeter, war es doch nur eine Fortsetzung des gestrigen Auftritts der Kratzlerin bei den Gröhlers.
»Das sind ja Zustände wie im Mittelalter.«
Tilman legte den einzigen Arm, den er hatte, auf ihre Schulter. »Frau Kratzler, beruhigen Sie sich doch bitte, Sie wecken noch Ihre Gäste. Das Mädchen wird es gut haben bei Willi.«
Lorenz, Elsa und ich gingen nach draußen. Sie wollte noch einmal in die Scheune.
Ihr Zeigefinger glitt über das verrostete Blech der Autowracks. »Heute ist ein Wagen für mich da.«
Eine Feststellung. Wo war die Erleichterung? Die Freude? Glückliche Bräute sahen anders aus.
»Flamingo, es geht los.« Willis Stimme hallte über den Hof.
»Ich komm gleich«, rief Elsa zurück.
Lorenz trat vor sie, die Hände in den Hosentaschen, ein verstohlenes Lächeln im Gesicht. »Dann pass auf dich auf, Elsa, ja?«
»Klar. Und du auch auf dich,
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