Elsa ungeheuer (German Edition)
und ihre kleine Hand.
Kaum merklich schüttelte sie ihren Kopf. Dann befahlen mir ihre Lippen zu verschwinden. ›Raus. Geh. Bitte‹, formten sie lautlos.
Ich trat den Rückzug an. Acht Steinstufen hinunter. Durch das Erkerfenster. Und draußen auf Elsas Fenstersims rollte ich mich zusammen. Ich weiß nicht, wie lange ich dort lag.
»Fetti, verdammt.« Sie kniete neben mir.
»Elsa, ich…«
»Halt den Mund und komm mit.« Sie zerrte mich hoch.
»Leise«, mahnte sie, während wir hangabwärts rannten. Erst auf der Hauptstraße drosselten wir das Tempo.
»Fetti, was du gesehen hast…«
»Er darf das nicht. Er darf das nicht«, fiel ich ihr ins Wort.
»Ach ja? Und wer soll es ihm verbieten? He? Wer?«
»Dein Vater oder das Murmeltier oder mein Vater…«
»Weißt du, wo sie mich hinschicken, wenn es rauskommt? Weißt du das? Ins Heim. Dann komm ich ins Heim.«
»Aber…«
»Hör auf!« Und dann packte sie meine Schulter. »Wenn du es jemandem erzählst, bring ich dich um. Schwör mir, dass du nichts sagst. Schwör!«
»Ich… ich schwöre.«
»Das reicht nicht«, sagte sie und nahm meine Hand, in die vor gar nicht allzu langer Zeit eine Katzenmutter ihre Zähne geschlagen hatte. Ich ließ mich von Elsa ziehen, bis wir dort ankamen, wo wir uns am Abend getrennt hatten: in der Scheune.
Elsa war dreizehn Jahre und achtundvierzig Tage alt. Der Busen wollte nicht wachsen, die Waden nicht adlig werden. Sie war vollkommen.
Elsa nahm das rostige Messer. Wollte sie mich wirklich umbringen?
»Du wirst bei meinem und bei deinem Blut schwören.«
»Aber…« Ich sah sie an. Elsa, das Maß aller Dinge. »O. k. Gut, Und wie… wie geht das?«
»Weiß ich auch nicht«, sagte sie. Tränen rannen über ihr Gesicht.
»Wir können uns schneiden… in die Finger schneiden. Blutsbrüderschaft, und dann schwöre ich noch einmal. Ja?«
Sie nickte, reichte mir das Messer und ihren Mittelfinger.
Zuerst ritzte ich mich, dann sie. Wir drückten unsere Fingerkuppen aufeinander.
»Ich schwöre, dass ich niemandem etwas erzählen werde. Bei deinem und bei meinem Blut.«
Schweigend hockten wir auf der Kühlerhaube des Opel Admiral.
»Wie lange macht er…«
»Nein!«, sagte sie. »Wir werden darüber niemals sprechen. Das gehört auch zu dem Schwur. Verstanden?«
»Ja. Verstanden.«
»Was wolltest du überhaupt bei mir?«, fragte Elsa.
Bis zum Morgengrauen saßen wir bei der Tigerkatze und ihren Babys. Elsa und ich, zwei Kinder, und mindestens eines von ihnen hatte in dieser Nacht das Ende der Welt erreicht.
Vielleicht gewann der Altersunterschied an Bedeutung. Ich war zehn und sie dreizehn. Aber vielleicht distanzierte sich Elsa auch von mir, weil wir beide nicht vergessen konnten.
Natürlich kam sie wie eh und je, um die Gutenachtgeschichten des Murmeltiers zu hören, und unsere Sommernachmittage verbrachten wir mit Lorenz am See oder streunten durch das Dorf. Aber sie vermied es tunlichst, mit mir allein zu sein.
Ich hielt mich an mein Versprechen. Aber wie oft sind meine Gedanken in die Küche der Gröhlers gewandert. Und was sah ich da? Einen Helden auf einem fliegenden Pferd, im Anschlag das rostige Messer.
Ich hoffte auf den Herbst, auf Schweine-Willi. Sein Besuch würde mir anderthalb Tage mit Elsa bescheren. Dachte ich. Doch statt Schweine-Willi tauchte der einarmige Tilman auf, zusammen mit einem Cousin aus der Schlächterfamilie. Schweine-Willi war in Throckmorton. Es gab also keinen Grund, sich zu verstecken, und so saßen auch Elsa und ich am Abend vor dem Schweinetöten im Jagdhof. Während der Cousin Willis Part übernahm und am Stammtisch Klatsch und Tratsch aus dem Landkreis verbreitete, kam Tilman zu Lorenz, Elsa und mir.
»Du bist also Mathildes Tochter?« Auch er suchte in dem Gesicht des Mädchens nach vergangenen Freuden.
»Ja«, antwortete Elsa.
»Und wie geht es deiner Mutter?«
Elsa zuckte mit den Schultern.
»Ist sie noch auf Reisen?«
»Ja.«
»Willi lässt dich grüßen. Er hat mir von dir erzählt. Hat gesagt, dass du mehr Mumm in den Knochen hast als so manch ein ausgewachsener Kerl… Flamingo. Flamingo, so nennt er dich.« Sein Blick glitt von Elsa zu einem Porträt der jungen Mathilde und wieder zurück. »Ich kannte deine Mutter. Schön war sie… ist sie sicher noch immer. Und wie sie lachen konnte! Aber mutig war sie nicht. Nein.«
Dann schickte der Einarmige sich an, zum Stammtisch zurückzugehen.
»Hey«, rief Elsa.
»Ja?«
»Wie geht es Willi in Texas?«
»Gut.
Weitere Kostenlose Bücher