Elsa ungeheuer (German Edition)
Rinderzüchten gefällt ihm besser als Schweineschlachten.«
»Dann grüßen Sie ihn mal zurück, wenn Sie mit ihm sprechen.«
Tilman nickte.
Jeden Tag schien Elsa mir ein wenig mehr zu entgleiten. Manchmal, wenn ich sie kommen oder gehen sah, wenn uns exakt eine Zimmerlänge voneinander trennte, streckte ich meinen Arm nach ihr aus. Die hilflose Geste eines kleinen, fetten Jungen.
Neidisch beobachtete ich, wie sich Elsa und mein Bruder schlugen und wieder vertrugen, wie sie gemeinsam kämpften. Zwischen ihnen hatte sich nichts verändert. Nur ich war dem Miauen gefolgt, das ich gar nicht hatte hören können.
Doch noch gab es die Abende, an denen das Murmeltier uns von den Weibern erzählte und Elsa in meiner Nähe saß.
»…und Janes Verlobter jagte mich aus Oxford. Mit einer scheußlichen Platzwunde am Kopf stand ich verloren am Straßenrand. Keine fünf Minuten später hielt ein Auto neben mir. Gloria. Gloria, die Wahnsinnige! Sie brachte mich nach Wheatley. Ein winziges Nest unweit von Oxford. Oh, Gloria, fast hätte ich mein Leben in Wheatley gelassen. Neun Männern hatte sie die Ehe versprochen. Neun! Aber davon das nächste Mal… Und jetzt Ohren zu. Könnt ihr mich noch hören?«
»Nein.«
»Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht.«
»Gelobte Schnallen! Heilige Fotzen! Sie haben mir alles gegeben. Alles.«
Er zündete die erloschene Zigarre an. »So, ihr herrlichen Kinder, es ist Zeit. Komm, Elsa, wir bringen dich nach Hause.«
»Murmeltier, warte…«, bat ich. »Hast du eine von ihnen wirklich geliebt?«
Er zog an der Zigarre und blickte mich an. »Ob ich eine… Ich habe sie alle geliebt. Auf meine Art. Ist es nicht auch eine Form von Liebe, jemanden nicht zu vergessen? Jede Einzelne kann ich noch immer deutlich vor mir sehen. Ihre Haare, ihre Lippen, ihre kleinen Unvollkommenheiten. Und errichte ich ihnen nicht Abend für Abend in diesem Kinderzimmer ein Denkmal? Lasse sie aufleben? Und ja, das würde ich Liebe nennen.«
»Aber ich meine so, dass es dir weh tut, wenn du an sie denkst. Dass du sie dahaben willst, neben dir?«
Das Murmeltier zögerte einen Moment, schüttelte den Kopf, und dann sah er Elsa an. »Ich habe nur Schnallen und Fotzen getroffen – auch wenn ich ihnen dankbar bin für… für alles.« Er lächelte. »Aber unter ihnen war keine Königin. Selig, wem eine begegnet, bevor er alt und grau ist, selig, wer sie erkennt.«
Ein lautes Geräusch riss mich aus dem Schlaf. Kein Miauen. Ein Poltern am Ende des Gangs.
Auf dem Boden vor seiner geöffneten Zimmertür lag das Murmeltier. Die rechte Hand auf sein Herz gepresst. Ich kniete mich neben ihn, schrie nach Lorenz, nach Frau Kratzler, nach meinem Vater und, obwohl sie nicht da war, nach Elsa. Das Murmeltier umfasste kraftlos meinen Arm und führte meine Finger zu seiner Brust. »Eine Habanera… Hörst du?« Leise summte er: »Pa dam pam pam… Pa da…«
Als mein Bruder, gefolgt von Frau Kratzler und Randolph, oben ankam, war das Murmeltier tot.
Unsere Haushälterin übernahm das Kommando. Während wir verstört im Halbkreis um den leblosen Körper knieten, rief sie Grievenhast an. Dann trat sie wieder zu uns.
»Frau Kratzler, wir müssen Elsa holen«, sagte Lorenz.
Wie recht er hatte. Elsa hätte uns nie verziehen, wenn wir bis zum nächsten Tag gewartet hätten. Zu meiner Verwunderung protestierte die Kratzlerin nicht.
»Ich gehe. Ihr bleibt hier. Randolph?«
Er antwortete mit einem Kopfnicken. Gab ihr zu verstehen, dass auf ihn Verlass war.
Unser Vater und der Arzt hatten das Murmeltier bereits in sein Bett getragen, als Elsa eintraf. Hatten ihm die Augen geschlossen. Die Hände gefaltet.
Elsa, Lorenz und ich saßen auf dem Boden, eng beieinander. Der gute Geist unserer Kindheit war weitergezogen.
»Hanna ist sofort zum Unfallort gelaufen.« Randolph stand hinter uns und klang so nüchtern wie lange nicht mehr. »›Guten Tag, August Murmelstein‹, hat er sich vorgestellt.
›Oh, wir tauschen den Stein gegen ein Tier‹, hat sie geantwortet. ›Murmeltier! Und das kann kein Zufall sein, schon so lange wünsche ich mir ein Murmeltier. Das kann einfach kein Zufall sein.‹
›Also nennen wir es Schicksal.‹
›Sie sind ein Philosoph. Ein Murmeltier und ein Philosoph.‹ Und dann hat Hanna ihn in ihre Arme genommen und in unser Haus.«
Nicht nur das Murmeltier und seine Geschichten verschwanden, auch die Abende mit Elsa.
Nach der Schule blieb sie oft mit Lorenz in der Stadt. Ab und zu nahmen sie mich mit,
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