Elsa ungeheuer (German Edition)
Forever Young ! Niemand bleibt ewig jung.« Sie tauchte unter. Kaltes Wasser spritzte auf mein grünes Minikleid.
»Komm, Karl, raus hier.« Lorenz winkte mich zu sich.
Auf dem Flur hörte ich den Knaben säuseln. Als ich Kind war…
Die Tür des Versprechens stand einen Spaltbreit offen.
Ich wollte Lorenz wegziehen, aber es war zu spät.
»Setzen!«, befahl der Pfeil stumm. Er saß schon länger dort. Den Kopf zurückgelehnt. Seine Samtkniehose geöffnet. Die rechte Hand ruhte auf ihrem hellblonden Haar.
In den Lüften wollte ich segeln.
Sie kniete vor ihm, den nackten Rücken uns zugewandt.
Als ich Kind war.
»Mehr Spucke, Alin. Mehr Spucke«, keuchte Mirberg.
Sie haben ihr Versprechen nicht gehalten.
Und dann packte er ihren Kopf mit beiden Händen, drückte ihn tiefer in seinen Schoß.
Als ich Kind war, haben sie mir gesagt, dass ich alles werden kann.
Während Mirbergs Körper bebte, stürmte Lorenz auf das Sofa zu. Er riss Alin hoch. Zwei Tropfen Sperma rannen über ihre lächelnden Lippen. Lorenz schubste sie in meine Richtung. Zerrte Mirberg am Kragen, dessen nun schlaffes Glied traurig zwischen seinen Beinen baumelte. Er wollte etwas sagen, aber bevor auch nur ein Laut aus seiner Kehle dringen konnte, krachte Lorenz’ Faust gegen seine Zähne.
Als ich Kind war, erträumte ich mir ein Leben in den Lüften.
Und noch einmal die Faust, und noch einmal und noch einmal.
Mirberg würgte. Blut überall. Entsetzt starrte er in seine hohle Hand: vier Zähne.
»Das wi du bereu, Lor Brau.« Obwohl der Tonfall keinen Zweifel am Ernst seiner Worte aufkommen ließ, waren sie kaum zu verstehen. Ein Blutschwall, die riesige Lücke im Oberkiefer und der Schock entstellten seine Drohung.
»Hör genau hin«, brüllte er mit äußerster Anstrengung, aber des Knaben Klage zerstörte auch diesen Augenblick. Mirberg stolperte durch den Raum, riss das Kabel aus der Wand. Lautlos vollbrachte der Frosch nun seine Metamorphose.
»Hör genau hin, Lorenz Brauer! Hörst du die Türen, die gerade zuschlagen. Bumm, bumm, bumm, bumm. Alle zu.«
Mirberg zog seine Hose hoch und stellte sich vor meinen Bruder. Nur wenige Zentimeter trennten ihre Köpfe voneinander. »Cattelan, Hirst, Gormley, das sind Künstler. Du bist ein kleiner Scheißdreck. Das war’s, Lorenz Brauer. Geh Kühe melken!«
Wie Sommersprossen sahen die winzigen Blutspritzer in Lorenz’ Gesicht aus. Er drehte sich um und packte Alins Arm, bohrte seine Finger in ihr Fleisch.
»Es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid«, hauchte sie.
»Es tut dir leid? Weißt du, was du bist, Alin? Weißt du das? Eine gottverdammte Fotze.« Er ließ sie los.
»Sei nicht so ordinär, Lorenz«, rief sie uns hinterher. Und noch immer war das Lächeln in ihrer Stimme zu hören.
Bumm –
Nach dem zweiten Semester befand die Akademie Lorenz’ künstlerische Eignung für nicht ausreichend.
Bumm –
Der Galerist Frenzen, der meinen Bruder unter Vertrag nehmen wollte, grüßte ihn nicht einmal mehr.
Bumm –
Irina Graham beantwortete weder Lorenz’ Anrufe noch seine Briefe.
Bumm –
Im Artfact Magazine erschien ein Essay, verfasst von Sebastian Mirberg. ›Neue Meister – Ewige Nieten ‹ – ein siebzehnseitiger Kniefall vor der Genialität und Modernität von Matthew Barney.
Auf Seite zwölf kontrastiert der Autor Barneys avantgardistisches Meisterwerk Cremaster 1 mit den kleinlichen, zeitgeistfremden Ambitionen eines Möchtegernkünstlers, der mit Pinsel und Farbe versucht, der Ewigkeit zu Leibe zu rücken.
Nachdem Lorenz seine Besitztümer aus Alins Wohnung geholt hatte – zwei Koffer, seine Malutensilien und die Skizzen, mehr war es nicht –, zog er zurück in die Oberpfalz zu unserem Vater und Frau Kratzler.
Die Scheune, die noch immer zwei Autowracks beherbergte, wurde sein Atelier.
Schleichend hatte die Zersetzung von den rostigen Fahrzeugen auf das Brauersche Fast-Hotel und seine verbliebenen Bewohner übergegriffen.
Das rechte Auge der Kratzlerin schimmerte trüb, und die Knie bereiteten ihr anhaltende Schmerzen. Ein Superlativ lässt sich leider nicht steigern: Auf ›älteste‹ folgt der Tod und sonst gar nichts.
Unsere früher so reinliche Haushälterin zeigte sich mittlerweile nachlässig gegenüber Staub und Dreck. Ihre einstigen Feinde nutzten diese neue Milde aus und nahmen das ganze Haus in Beschlag.
Im Falle von Randolph Brauer heilte die Zeit nicht alle Wunden. Je mehr sie voranschritt, desto unbegreiflicher erschien ihm der Verlust
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