Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
Vom Netzwerk:
seiner geliebten Frau. Manchmal saß er stundenlang auf einem aufklappbaren Plastikstuhl im Garten und blickte in die Ferne: Er hielt Ausschau nach Hanna.
    Wermut und Schnaps, gleichermaßen Tröster wie Zerstörer, zerfraßen langsam, aber kontinuierlich Randolphs Leber und Speiseröhre.
    Während die Katzen sich exponentiell vermehrten, schrumpfte die Zahl der Feriengäste von Saison zu Saison.
    Mehr als die offensichtliche Verwahrlosung ließ etwas Unsichtbares das Haus meiner Kindheit und Jugend verkommen. Vielleicht geschieht das zwangsläufig mit Orten, an denen zu viel verlorengegangen ist. Eine grüne Mütze, eine Mutter, ein Murmeltier, unzählige Geschichten in der Nacht, ein Mädchen mit Lackstiefeln. Und was sollten eine steinalte Haushälterin und ein tieftrauriger Alkoholiker dem schon entgegensetzen?
    Hier, in diesem zerbröckelnden Fast-Hotel, hatte mein Bruder Zuflucht gesucht, als das Mirbergsche Türenknallen begann. Weder das ranzige Gebäude noch seine siechen Bewohner bedrückten Lorenz, zu schwer wogen seine eigenen Sorgen.
    Sooft ich konnte, fuhr ich von München in die Oberpfalz und besuchte ihn.
    Knapp vier Monate waren seit Mirbergs Party vergangen. Das Empfangskomitee, eine bunte Katzenschar, geleitete mich in den Flur. Der Geruch nach alter Eselsscheiße verschlug mir den Atem. Aus dem Frühstücksraum drangen die Stimme der Kratzlerin und das Klirren von Glas.
    »Herzjesulein im Himmel. Er richtet sich zugrunde.«
    Mit zitternder Hand stellte sie eine Batterie teils leerer, teils halbleerer Flaschen auf den Tisch. »Die habe ich heute gefunden. Mit einem Auge. Vierzehn Stück. Er versteckt sie im ganzen Haus. Was kann ich nur tun?«
    »Gar nichts. Wahrscheinlich können Sie gar nichts tun, Frau Kratzler. Sie nicht, Lorenz nicht, ich nicht und auch nicht das arme Herzjesulein.«
    Ich brachte meine Sachen nach oben und lief in die Scheune.
    Zwischen Papierfetzen und zerrissenen Leinwänden lag mein Bruder. Zusammengerollt wie ein Neugeborenes, die Hände zu Fäusten geballt.
    Ich kniete mich neben ihn, streichelte seine Finger, bis sie sich entspannten.
    »Es ist so schwer, wenn niemand da ist«, sagte er.
    »Was meinst du?«
    »So viele Augen waren auf mich gerichtet. Die der Akademie, Mirbergs, Frenzens, Irina Grahams, Alins…
    Weißt du, gestern ist mir klargeworden, dass ich nur ein einziges Mal die Ewigkeit malen werde. Die Leinwand muss so groß sein, dass man sie in kein Wohnzimmer einsperren kann. 86   Motive. 86   Bilder dieser Dimension, das kostet Zeit. Ich darf nicht jung sterben.« Er lachte müde. »Ein ganzes Leben, und keiner wartet, keiner glaubt an einen. Wie soll das gehen?«
    »Du brauchst sie doch alle nicht zum Malen. Weder Mirberg noch die Graham und schon gar nicht Alin. Du brauchst niemanden, du kannst es einfach tun.«
    »Ich bin kein Heiliger, Karl.«
    »Und was war davor? Bevor du an der Kunstakademie angenommen wurdest, bevor sich Mirberg oder sonst wer für dich interessiert hat?«
    »Aber jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt. Wenn das, was du machst, auch für andere eine Bedeutung hat.«
    Vielleicht wäre Mirberg versöhnlicher gewesen, wenn die vier fehlenden Zähne problemlos hätten ersetzt werden können.
    Implantate schieden anfangs wegen seines zu schmalen und zu niedrigen Kiefers aus, für eine Brücke erwies sich die Lücke als zu groß, und zur Verwunderung mehrerer Zahnmediziner verursachte die uneleganteste Lösung, eine Teilprothese, eitrige Entzündungen in Mirbergs Mundhöhle. Also landete man wieder bei den Implantaten.
    Ich besuchte Sebastian in einer Den Haager Zahnklinik am Tag vor der angesetzten Knochenblocktransplantation. Ein Stück seines Beckenkamms sollte in den Oberkiefer verpflanzt werden, um für die Implantate genug Substanz zu schaffen.
    Die Tür stand einen Spaltbreit offen. Neben dem Bett saß Alin, Stift und Block in der Hand.
    »Constanzes Knie zitterten, als Dr.   Lupus ihren blassen…, nein… ihren weißen Arm… nein, ihr zartes…«, diktierte Mirberg.
    Ich trat ein. Alin lächelte, Sebastians Blick verfinsterte sich.
    »Ich bin’s, Karl. Lorenz’ Bruder«, sagte ich überflüssigerweise. Er hatte mich erkannt. Geradezu grotesk wirkte sein unvollständiges Gebiss. Wie natürlich hatte doch die Zahnlücke des Murmeltiers ausgesehen. Man muss seine Wunden wohl mit Würde tragen.
    »Was willst du?«, fragte Mirberg.
    »Alin, kannst du uns einen Moment allein lassen?«
    Sie sah Mirberg an, er nickte. Alin legte

Weitere Kostenlose Bücher