Elsa ungeheuer (German Edition)
schlechtgehen ist nicht leiden.«
»Mein Bruder leidet.«
»Bist du deshalb hier, um für ihn um Vergebung zu bitten?«
»Ja, es hat nur nicht funktioniert.«
Vera lehnte sich zurück, breitete ihre Arme aus, als hieße sie die herabfallenden Tropfen willkommen.
»Also bist du ein guter Mensch, Karl Brauer?« Ihre Augen waren geschlossen, das Gesicht zum Himmel gewandt.
»Ein guter Mensch? Das weiß ich nicht.«
»Du versuchst zu helfen. Zu retten.«
Eine Küchenanrichte. Ein Mädchen mit wilden Haaren. Ein rostiges Messer.
»Was kommt vor dem Versuchen, Vera?«
»Wollen«, sagte sie, ohne zu überlegen.
»Und reicht der Wille, um ein guter Mensch zu sein?«
»Das weiß ich nicht.«
Dezember 1997. An dem Tag, als in Hongkong 1.5 Millionen Hühner geschlachtet wurden, saßen Lorenz und ich im Zug Richtung Den Haag. Drei Seiten widmete die Tageszeitung den toten Hühnern. Schlachten – ein Wort, das sofort Erinnerungen an die Gefährtin meiner Kindheit wachrief.
Ich klappte die Zeitung zusammen. »Denkst du manchmal noch an Elsa?«, fragte ich Lorenz.
»Nein«, antwortete er schnell, ein wenig zu schnell.
»Nie?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht, wie es wäre, wenn sie heute vor mir stehen würde. Aber damals… Ich fand sie vollkommen.«
Er lachte. »Elsa? Vollkommen?«
»Ich möchte sie irgendwann einmal wiedersehen.«
»Wozu?«
»Weiß nicht«, sagte ich, während ein kleiner fetter Junge in mein Ohr flüsterte: Ihre Lippen haben dich gestreift, von dieser Berührung hast du dich nie wieder erholt. Du hast sie nicht retten können. Du hast sie auf deinem Rücken getragen, vor ihrem Fenster gelegen, ihre Nägel lackiert, bist ihr überallhin gefolgt. Folgst du ihr noch immer?
Und dann verwandelte sich Fettis Stimme in Elsas Mädchen-Alt: Folgst du mir noch immer? Folgst du mir noch immer?
»Karl?« Lorenz stupste mit seinem Fuß gegen mein Schienbein.
»Ja?«
»Ich hab dich was gefragt.«
»Was?«
»Ob sie sonst nichts gesagt hat?«
»Elsa?«
»Quatsch. Die Graham.«
»Nein. Nur, dass wir kommen sollen.«
Ein Windhauch bewahrte den Roten Apollo vor der Pranke eines übermütigen Mannes: Dr. Lupus – Ein Märchen für Erwachsene . Ein zweihundertseitiger literarischer Erguss von Sebastian Mirberg.
Dr. Lupus, offensichtlich das Alter Ego des Autors, ist ein gutaussehender Kunstsammler, der neben seinem Gespür für Talent auch noch mit allerhand eigenen Talenten aufwarten kann: Er ist ein begnadeter Sänger und Pianist, ein erstklassiger Romancier und Tänzer. Wenn er Tango tanzt, haben die Zuschauer Tränen in den Augen.
Mit Gleichmut und einem charmanten Lächeln nimmt der schöne Dr. Lupus – Künstler durch und durch – solche Zeichen der Bewunderung hin.
Und es ist ebendieses Lächeln, das die Frauen im wahrsten Sinne des Wortes in die Knie zwingt. Wenn ihre Münder nicht anderweitig beschäftigt wären, würden sie vor Entzücken laut aufschreien.
Lupus wird der liebestollen Mädchen überdrüssig und entwickelt eine Leidenschaft für berühmte Frauenporträts.
Botticellis Venus, Klimts Adele, Dalís Mädchen mit Locken, Rubens’ drei Grazien, sie alle dürfen Lupus beim Onanieren zusehen. Und wahrscheinlich – wären sie nur lebendig – würden auch sie sich wie ihre Schwestern aus Fleisch und Blut auf die Knie fallen lassen. Jahrelang verteilt der Held des Romans seinen Samen auf das gewienerte Parkett unzähliger Museen. Eines Tages führt ihn das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge nach Den Haag, aber nicht Vermeers Schöne weckt seine Lust, sondern Rembrandts Andromeda. Er ist völlig betört von der angeketteten Frau und weiß, dass es ihm nicht genügen wird, sich auf den Holzboden zu ihren Füßen zu ergießen.
Nachts bricht Lupus in das Mauritshuis ein und spritzt Andromeda sein Sperma mitten ins Gesicht. Seit jenem Augenblick verklärt ihr einst so verängstigtes Antlitz ein seliges Lächeln, noch geheimnisvoller als das der Mona Lisa.
Anstoß für Mirbergs Ausflug ins literarische Fach waren seine vier fehlenden Zähne. Der Heilungsprozess nach der Knochenblocktransplantation dauerte ungewöhnlich lange.
Seine Eitelkeit hielt Mirberg von Vernissagen, Partys und Kunstmessen fern und schenkte ihm Zeit.
Er begnügte sich nicht damit, die Geschichte des Dr. Lupus niederzuschreiben, sondern ließ das Werk im Eigenverlag drucken. Die Auflage betrug 20 000 Stück. So wie andere Leute Blumen, Pralinen oder einfach nur eine Karte
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