Elsa ungeheuer (German Edition)
wieder da: das Gefühl der Unbesiegbarkeit. Ein Krieger mit Schwert, Schild und Panzer entstieg der Badewanne, bereit, sich in die Nacht zu stürzen.
Frenzen, der Galerist, lud an diesem Novemberabend zu seinem letzten Geburtstag ein.
Lymphdrüsenkrebs hatte das Ergebnis einer Routineuntersuchung im März gelautet. Den Tumor im Kopf, der bereits gestreut hatte, fand man Anfang April. Frenzen brach die Chemotherapie ab. Im Mai begegnete er einer Astrologin namens Yvonne. Die Planeten, die Sterne und sie prophezeiten, dass er seinen fünfzigsten Geburtstag im Spätherbst noch erleben würde. Die Ärzte wollten ihm nicht einmal mehr den Juli garantieren.
Yvonne behielt recht. Doch Frenzens Frage, ob er vielleicht auch den Einundfünfzigsten würde feiern können, verneinte die Astrologin traurig, aber bestimmt.
Also bat der Galerist am 27. November 1999 zu seinem letzten Geburtstag.
Aus Angst, dass ihm auf dem Weg zum Fest ein Blumentopf auf den Kopf fallen oder sonst ein ähnlich absurdes Unglück, das nicht in den Sternen stand, widerfahren könnte, fand die letzte Geburtstagsparty bei Frenzen zu Hause statt.
Jeder Gast schien sich mit dem gleichen Gedanken angekleidet zu haben. Geradezu unpassend wirkten angesichts der Novemberkälte die grellbunten Cocktailkleider der Damen und die hellen Anzüge der Herren. Frenzen und ich trugen als einzige Schwarz.
Auch was die Geschenke betraf, waren Freunde und Bekannte übereingekommen: Es musste etwas ganz, ganz Besonderes sein.
Ein Teeservice aus dem Nachlass des letzten Zaren. Signierte Erstausgaben von Frenzens Lieblingsautoren. Goldverzierte Straußeneier. Mein persönlicher Favorit auf dem Gabentisch: ein Welpe, ein italienisches Windspiel. Jene kleinen Hunde, die Friedrich der Große in seinem Bett hatte schlafen lassen.
Unauffällig legte ich vier in Zellophan verpackte Joints, die mich keinen Pfennig gekostet hatten, zwischen all die prächtigen Präsente. Unser Dealer Jerome hatte mir ein Päckchen Gras in die Hand gedrückt. »Du siehst scheiße aus, brauchst ein bisschen Schlaf. Das hilft.« Die Pflanzen erwiesen sich für mich als Alptraummaschine, aber ich glaubte einmal gehört zu haben, dass Krebskranke Jeromes Kraut zu schätzen wussten.
Wie gratuliert man einem Sterbenden zu seinem letzten Geburtstag? Wieder herrschte Einigkeit: eine feste Umarmung. Ein Lächeln – aufmunternd, empathisch, auf gar keinen Fall mitleidig. Ein Kompliment – nicht zu dick aufgetragen, etwa: »Gut siehst du aus, mein Lieber.« Ja nicht den Tod oder die unheilvolle Krankheit thematisieren.
Nur der Krieger in Schwarz, der sich so stark fühlte wie lange nicht mehr, sagte: »Tut mir echt leid. Scheiß Krebs«, und sang anschließend aus voller Kehle Happy Birthday, während er Frenzens Hand drückte.
Ich nahm mir ein Glas Champagner und schlenderte durch das große, geschmackvoll eingerichtete Haus des Galeristen.
Einige erkannten Brauers Bruder. Seichte Worte, die nichts meinten und nichts bedeuteten, schwebten hin und her. Ein Hoch auf die Kunst. Um Gottes willen nicht auf das Leben. Pietät! Der Gastgeber hat Krebs. Nach einer Runde durch die mit Menschen vollgepfropften, von sanfter Musik beschallten Räume und zwei Abstechern auf die Toilette stieß ich mit Lorenz und Vera zusammen.
»Guck mal, wer da ist.« Ich wandte den Kopf in die mir gewiesene Richtung.
Mirberg saß in einem beigen Ledersessel. Das Gebiss vollständig. Seine rechte Hand ruhte, Besitz markierend, auf einem Frauenbein. Alin steckte in meinem Froschkostüm.
Ein Zucken durchfuhr Mirbergs Körper, als auch er uns entdeckte. Seine Zunge versicherte sich vorsichtig der lückenlosen Zahnreihe. Vielleicht war es diese Geste, vielleicht wechselte genau in diesem Augenblick der Lichteinfall. Was es auch war, Mirbergs Veränderung seit unserer letzten Begegnung trat deutlich zutage. Ein gebrochener Mann. Die Hand besaß nicht das Bein. Das Bein stützte den Besitzer der Hand.
»Er sieht schlecht aus«, sagte ich.
»Nicht schlecht genug«, befand die zukünftige Frau Brauer.
»Du wolltest ihn leiden machen. Ich glaube, er leidet.«
Vera blickte zu Alin. »Solange es noch jemanden gibt, der bereit ist, seinen Schwanz zu lutschen, leidet er nicht genug.«
»Wenn sie seinen Schwanz nicht gelutscht hätte, würden wir jetzt nicht hier stehen«, sagte Lorenz und lachte. »Gönnen wir ihm doch ein wenig Trost.«
Kaum merklich schüttelte Vera den Kopf. »Nein. Das ist kein gutes Ende.«
Ihre Worte
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