Elsa ungeheuer (German Edition)
versehrten meinen Panzer.
Ich wollte nicht mehr neben dem Künstler und seiner Erfinderin stehen, nicht mehr den geprügelten Hund Mirberg und die Froschfrau sehen. Ich flüchtete treppauf, suchte nach einem verwaisten Zimmer, in der Hoffnung, dass Veras Medizin meine schützende Rüstung wiederherstellen würde.
Das Schlafzimmer des Gastgebers schien mir der geeignetste Ort. Eine Ahnung ließ mich die vorletzte Tür auf dem L-förmigen Gang öffnen. Mein Instinkt erwies sich als treffsicher. Nur dass der Raum nicht leer war. Frenzen lag in seinem Bett. Einen Joint in der linken Hand, ein Heft in der rechten.
»Komm rein, Karl. Setz dich zu mir.«
»Ich will nicht stören.«
»Komm, los.« Er rutschte zur Seite.
»Ich darf doch?«, sagte ich und zog Spiegel und Stein aus der Tasche.
Frenzen nickte. »Meine zwei Lieblingsgeschenke.« Er hielt den Joint hoch, zwinkerte mir zu. »Ein bisschen Entspannung. Ich habe dich beobachtet – danke.« Dann wedelte er mit dem Heft. »Und ein paar ehrliche Sätze. Hat mir mein siebenjähriger Neffe geschrieben und Bilder dazu gemalt. Hör zu:
Lieber Onkel Martin,
schade, dass du einen Krebs hast und bald tot bist. Wenn ich mal weiß, dass ich einen Krebs habe oder irgendwie anders tot gehe, habe ich sicher Angst. Aber für dich ist es viel, viel, viel mehr schlimm. Weil die Mama sagt, dass du nicht an Gott und den Himmel und so glaubst. Ich schon, und vielleicht lassen die mich ja da rein und im Himmel ist tot sein ganz schön. Und wenn du nicht in den Himmel reinkommst, musst du in die Hölle, und wenn man nicht an den Himmel glaubt auch. Also fährst du mit dem Krebs in die Hölle. Das tut mir leid, weil du immer nett zu mir bist. Ich habe versucht, dir eine schöne Hölle zu malen. Das ist schwer.
Du musst mit dem Feuer aufpassen und nicht in den Topf springen. Die Oma vom Teufel kocht da Sachen und auch Menschen drin. Also geh nicht da rein, auch wenn die Oma sagt, dass sie dir dann Eis und Bonbons und so schenkt, sie lügt. Sie will nur, dass du in den Topf hüpfst. Er ist schwarz und rund.
Warum willst du nicht an den Himmel glauben? Dann kannst du mit dem Krebs vielleicht doch rein. Die Engel haben goldene Haare und sind sehr lieb. Und Gott ist auch sehr nett. Nur manchmal ist er sauer, wegen Atombomben und so. Aber er schlägt nicht oder so. Er guckt dann nur böse.
Aber das Beste im Himmel ist, dass du da Einhörner kaufen kannst. Die sind aber teuer und man braucht so Geld wie in Italien, nicht so Geld wie wir haben. Fahr doch mit dem Krebs nach Italien und hol das Geld und geh da tot.
Einhörner sind sehr selten und hier kannst du sie gar nicht kaufen. Manchmal verlaufen sie sich und kommen nach Deutschland oder Amerika. Aber nur kurz. Vielleicht fahre ich ja mit dir und dem Krebs in den Himmel, weil ein Einhorn will ich unbedingt haben. «
Frenzen klappte das Heft zu und zog kräftig an seinem Joint.
»Ich habe Angst«, sagte er. »Ich habe schreckliche Angst… Trotz der Schmerzen, trotz dieser unerträglichen Schmerzen will ich leben. Ich will hierbleiben.« Er weinte. »Wo geh ich hin, Karl? Wo geh ich hin?«
Ich streichelte vorsichtig seinen Kopf, in dem der Tumor wucherte. »Mir gefällt das mit den Einhörnern. Kauf dir auf jeden Fall eins, ja?«
»Das werde ich. Sogar zwei. Eins für mich und eins für den Krebs.« Er griff nach dem Heft und zeigte mir eine Zeichnung seines Neffen. Ein Mann, offenbar der Galerist, führte ein fettes Schalentier an der Leine. Der pinke Krebs lächelte und trug eine Brille.
»Du solltest ihm Kontaktlinsen besorgen. Die Brille sieht einfach scheiße aus«, sagte ich.
Tränen rollten über Frenzens Wangen, und sein Lachen hallte durch das Zimmer. »Kann man die da oben auch kaufen?«
»Na klar. Bei zwei Einhörnern gibt es sogar ein Paar Kontaktlinsen gratis dazu.«
»Das ist beruhigend. Ich weiß nämlich nicht, ob ich genug italienisches Geld habe.«
»Noch eine Frage, dein Krebs, ist er ein Er oder eine Sie?«
»Vincent, er heißt Vincent, und er trägt mit Vorliebe Pink.«
Meine Hand ruhte auf Frenzens Schädel. »Kannst du Vincent spüren?«
»Ja. Er tut mir weh.«
Ich blieb bei dem Galeristen, bis er einschlief, deckte ihn zu und vergewisserte mich, dass sein Herz noch schlug.
Eine letzte Ladung Medizin. Gerüstet und gewappnet marschierte ich treppab. Die Musik dröhnte nun laut, Menschen tanzten, niemand schien den Gastgeber zu vermissen. Auf dem Gabentisch, neben dem zitternden Welpen, stand eine
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