Elsas Küche: Roman (German Edition)
von früh bis spät, aber er war nicht mehr mit dem Herzen dabei. Dieses Verhalten ließ Elsa nicht gleichgültig. Sie war völlig perplex, auch weil sie gedacht hatte, er empfände trotz seiner Heiratsanträge genau wie sie. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, dass er ernsthaft verletzt war. Weil sie nicht wusste, wie sie weiter verfahren sollte, mied sie ihn in ihrer Verwirrung, und schnauzte stattdessen Dora, die Chefkonditorin, an, eine schlanke junge Frau mit theatralischem Lidschatten und kräftigen blonden Locken. Elsa hatte bemerkt, dass Dora den Küchenchef neuerdings ein wenig zu bereitwillig anlächelte, und das gefiel ihr gar nicht.
»Ich weiß nicht, ob ich eifersüchtig bin oder nur mein Territorium verteidige«, gestand sie ihrer Freundin Eva, einer Witwe, die zum Mittagessen ins Restaurant gekommen war.
Die Frau, die älter war als Elsa, leckte an ihrem Dessertlöffel und sah zu ihr hoch.
»Warum wirst du sie nicht einfach los, mein Schätzchen«, sagte sie.
»Das geht nicht!«, sagte Elsa und deutete auf Evas Nachspeise. »Seit sie hier ist, ist die Dessertnachfrage gestiegen. Sie bäckt die Kuchen und Torten. Den Mürbeteig macht sie mit Pflaumenschnaps – die Gäste sind verrückt danach. Und ihre Crêpes sind ganz ausgezeichnet – hauchdünn. Stell dir vor, sie tut Sprudel in den Teig! Du solltest sie in der Küche herumquirlen sehen – wie eine Maschine. Und sie macht alles mit der Hand! Eine ausgezeichnete Chefkonditorin.«
Die Witwe Eva tauchte den Löffel in die handgeschlagene Sahne und leckte ihn ab. »Sehr guter Kuchen«, sagte sie. »Den hat sie gebacken, sagst du?«
Elsa blickte auf den leeren Teller und nickte.
»Das ist schon meine zweite Portion«, sagte Eva. »In den letzten Wochen hab ich immer Kuchen zum Mitnehmen bestellt. Meine Kleider spannen schon an den Hüften. Du weißt gar nicht, wie lang ich seit Neuestem brauche, um mich hineinzuzwängen – ich komm mir vor wie eine Leberwurst. Ich nehme zurück, was ich da gerade gesagt habe. Du kannst sie nicht rauswerfen. Für meinen alten Mund hat es dieses Jahr kein größeres Vergnügen gegeben als diese Desserts.«
Elsa zuckte die Schultern und aß ihren Nachtisch. Er ist gut, wenn auch eine Spur zu süß.
Die Frauen waren einen Moment lang still und dachten nach. Plötzlich lächelte Eva. Sie musste an eine Geschichte denken, die sich in ihrer Jugend zugetragen hatte. Es ging um einen Wanderarbeiter, mit dem ihr Vater zu tun bekam,als er feststellen musste, dass ihr viel jüngerer Mund sich hinter einem Werkzeugschuppen ungehörig vergnügt hatte. Es war in dem Sommer, als sie den Zaun erneuerten. Ihr Vater fand heraus, dass sie eine Affäre hatte, doch statt in die Luft zu gehen und seine Tochter zu verlieren, stellte er sicher, dass der Arbeiter seine Arbeit tat. Eine Schaufel, ein störrisches Maultier, einen Stapel Pfosten und zwei Kilometer – mehr brauchte er nicht. Die junge Eva wartete stundenlang an der verabredeten Stelle, doch als der Arbeiter endlich kam – er hatte sich drei Stunden verspätet –, war er schmutzig und müde und nicht in der Stimmung, die Tochter seines Chefs zu streicheln. Weil er sie lächerlich gemacht hatte, gab sie ihm eine Ohrfeige. Das reichte, um ihn zu verjagen, und er verschwand noch in derselben Nacht.
Vielleicht würde so etwas auch Elsa helfen, dachte sie. Sie lächelte und tat Elsa kund, was sie sich überlegt hatte.
»Lass sie doch jeden Tag doppelt so viele Kuchen backen! Und doppelt so viele Crêpes! Expandiere! Mach eine Konditorei auf! Verdopple alles! Die beiden sind noch jung. Wenn du sie wirklich von ihm fernhalten willst, sorg am besten dafür, dass sie bis über die Ohren in Sahne und Löffelbiskuits steckt. Lass sie bis über die Knie in Teig waten. Sieh zu, dass sie ordentlich schwitzt. Bei so viel Arbeit bleibt keine Zeit für Lidschatten.«
Bei dem Gedanken, dass Doras Lidschatten verwischt werden könnte, musste Elsa lachen. Die Idee gefiel ihr. Auch die Logik leuchtete ihr ein, und ein paar Tage später standen Crêpes und Kuchen zum Mitnehmen auf der Speisekarte. Den Gästen gefiel das, und die Bestellungen nahmen zu. Manche kamen tatsächlich nur wegen der Kuchen zum Mitnehmen. Elsa musste eine zweite Telefonleitunginstallieren lassen, damit die Kunden ihre Bestellungen aufgeben konnten. Dora brach fast zusammen vor Arbeit und beklagte sich. Elsa bot an, eine Küchenhilfe für sie einzustellen oder ihr eine Gehaltserhöhung zu geben. Die junge Frau
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