Elsas Küche: Roman (German Edition)
Küchenchef genau nach ihrem Rezept gekocht hatte.
Die Dozenten atmeten den Fleisch- und Soßenduft ein. Der Dillgeruch versetzte sie in Entzücken. Anrichtung und Garnierung fanden ein anerkennendes Nicken, und dann zerlegten sie die Lende. Sie war gebraten und stellenweise schwarz, dabei jedoch zart und saftig. Als sie die Messer an das Fleisch legten und einen Happen abschnitten, sahen sie, wie saftig es war – saftig und zart! Fast hätte es ein Stück Obst sein können. Die Dozenten bewegten sich in völliger Übereinstimmung, sie schnitten und aßen das Fleisch, als folgten sie einer Choreografie. Sie kosteten jeden Happen aus, kauten dabei jedoch schnell und gründlich. Sie nickten ihr zu, während sich Fleischsaft und Soße über ihren Zungen verteilten und in ihre Mägen wanderten. Elsa trugihre weißeste Küchenuniform, so als trete sie wieder zum Examen an. Als sie fertig gegessen und ihren Wein ausgetrunken hatten, schenkte sie beiden, noch bevor sie etwas sagen konnten, ein Glas Tokajer ein und bat den Kellner, frisch gebackenen Käsekuchen mit roter Johannisbeersoße zu bringen. Sie tranken den Wein und tauchten die Löffel in die dickflüssige Sahne. Ihnen fielen fast die Augen zu.
»Wie hat es Ihnen geschmeckt?«, fragte sie.
»Mhmm«, machte der Soßendozent. »Das war ganz vorzüglich, Elsa. Die Soße ist himmlisch.«
»Ja, durchaus«, sagte der Fleischdozent mit einem Nicken. »Köstlich. Fabelhaftes Rezept. Das Fleisch war perfekt zubereitet – zart und saftig. Auch die Soße war ein Gedicht – mit einer Spur Wein. Ausgezeichnet.«
Der erste Dozent nickte. »Und der Käsekuchen! Das hat sich Ihr Patissier ausgedacht, oder? Schön, dass Sie jemanden aus dem Institut eingestellt haben.«
Elsa lächelte und holte die Zeitschrift hervor. Sie schlug die Kolumne des Kritikers auf und deutete auf ihn.
»Kennen Sie diesen Mann?«, fragte sie die beiden. »Kennen Sie den Preis, den die Zeitschrift vergibt? Die Sillberne Suppenkelle . Ich möchte, dass er hierherkommt und eine Restaurantkritik schreibt. Ich möchte die Kelle verliehen bekommen.«
Der Soßendozent pfiff, als er das Foto sah. Der andere lachte spöttisch.
»Sein Ruf eilt ihm voraus«, sagte der Soßendozent kopfschüttelnd. »Aber ich kenne ihn nur vom Hörensagen.«
»Er ist ein Schwindler«, sagte der Fleischdozent.
»Stimmt nicht«, entgegnete der Soßendozent. »Er ist ein Demagoge mit einem feinen Gaumen!«
»Ach was! Er ist ein Rüpel! Ein Schwindler!«
»Er hat das Desmoiselles d’Avignon kaputt gemacht.«
»Trotzdem ist er ein Schwindler.«
»Es hat seinen Michelin-Stern verloren. Ein Betrüger kann so was nicht.«
Elsa betrachtete das Foto. Die Geschichte von dem französischen Restaurant in Barcelona war Legende geworden. Das Desmoiselles d’Avignon existierte schon sechs Jahre, und der Küchenchef stammte aus einer Familie, die sich seit jeher der Kochkunst widmete. Nach der Schule lernte er in den besten Pariser Restaurants – sie gehörten seiner Familie –, und danach ging er nach Barcelona, um in Spanien eine Dependance zu eröffnen.
»Ich wusste nicht, dass das derselbe Kritiker war«, sagte Elsa und warf einen besorgten Blick auf sein Foto.
»Doch, haargenau derselbe«, erklärte der Fleischdozent. »Er hat geschrieben, die Foie gras dort schmecke wie alte Hühnerleber – oder war es Thunfisch? Jedenfalls lautete sein Urteil, dass sie nur für eine sterbende Katze genießbar sei.«
»Das hat er geschrieben?«, fragte Elsa.
Die Männer nickten.
»Und hat es gestimmt?«, fragte sie.
Die beiden Männer zuckten die Schultern.
»Wer kann das wissen? Für das Restaurant war es jedenfalls verheerend«, fuhr der Fleischdozent fort und deutete auf das Foto. »Besonders übel war, dass er es danach wagte, ein zweites Mal in das Restaurant zu gehen und wieder dasselbe Gericht zu bestellen. Er aß wieder den ganzen Teller auf und schüttelte dann den Kopf. Als der junge Küchenchef erfuhr, dass er da war, nahm er die Kochmütze ab und jagte ihn mit einem Tranchiermesser aus dem Restaurant und die Straße entlang und schrie, er habe nicht diegeringste Ahnung von Foie gras. Das gesamte Küchenpersonal musste mit vereinten Kräften verhindern, dass er den Mann umbrachte. Der Oberkellner, der Patissier und die Toilettenfrau rannten hinter ihrem Chef her, der den Kritiker laut verfluchte – schreckliche katalanische Flüche, die er auf den Fischmärkten gelernt hatte. Schließlich bekamen ihn seine Angestellten
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