Elsas Küche: Roman (German Edition)
seiner Kinder ein bequemes Leben führen konnten – alle würden tun und lassen können, was sie wollten, solange dabei Geld in die Kasse kam.
»Das war ganz leicht«, prahlte er als führender Vertreter der neuen Wirtschaftsordnung in einem Interview mit der überregionalen Wochenzeitung. Politische Parteien ersuchten ihn um Spenden. Der gerade ins Leben gerufene Lions Club wollte ihn als Gründungsmitglied. »Wenn ich eine Gelegenheit gesehen habe, habe ich sie ergriffen. Mehr ist es nicht. Man darf keine Angst davor haben, Chancen beim Schopf zu packen.«
Doras Familie nahm sich Kapitalismus und Unternehmertum so sehr zu Herzen, dass sie kaum über etwas anderes sprach und andere Themen auch nicht wichtig fanden. Sie gingen nicht ins Theater. Sie hörten keine klassische Musik. Sie waren pragmatische Geschäftsleute, keine Intellektuellen und ganz gewiss keine Künstler oder Menschen, die ein Empfinden für Ästhetik hatten. Doch bemerkten sie schon sehr früh, dass die kleine Dora eine künstlerische Ader hatte. Während ihre Mutter das Eis mechanisch in eine Waffeltüte schaufelte, als sei sie ein Automat, ließ Dora viel Sorgfalt walten und bestreute ihr Eis mit Schokoladensplittern und dekorierte es manchmal sogar mit Obst. Statt sie zu maßregeln, ließ ihre Mutter sie gewähren. Sie nannte das Eis Dora Spezial und verlangte mehr Geld dafür. Alle waren zufrieden.
Und das war das Merkwürdigste an dieser Unternehmerfamilie: Sie unterstützten einander und waren zufrieden. Sie waren ohne jeden Arg. Das Leben war ausschließlichdazu da, Reichtum zu erschaffen, und das ganze Geheimnis im Leben bestand darin, zu wissen, dass einfach alles ein Quell des Reichtums werden konnte. Am Ende beschlossen sie gemeinsam, dass Dora ihren Weg machen würde, wenn sie mit Lebensmitteln, insbesondere Desserts, arbeitete.
»Das ist kreativ, und nach der Ausbildung kannst du eine Bäckerei oder ein Café aufmachen«, sagte ihr Vater.
Sie ging auf die Kochschule in Budapest und wurde Konditorin. Alles verlief glatt. Die Kartoffelchipsfamilie hatte vereinbart, dass sie ihr Imperium nach Doras Ausbildung ausdehnen und im Zentrum von Délibáb ihr erstes Dessertcafé eröffnen würde. Später konnte man dann vielleicht daran denken, die Desserts portionsweise in der Fabrik einzufrieren und in Schachteln zu verpacken.
»Eine einfache Gleichung!«, rief ihr Vater aus. »Man muss billige und einfache Waren und Dienstleistungen produzieren, die die Leute wollen. Nichts Kompliziertes! Im Winter Heizungen, im Sommer Eis, das ganze Jahr über Kartoffelchips und schließlich noch Kaffee und Kuchen. Das sind lauter Erfolgschancen!«
Das einzige kleine Hindernis war, dass Dora zwar nichts dagegen hatte, ein Café zu eröffnen, aber auch ein Restaurant wollte. Dagegen sträubte sich ihre Familie anfangs – zu viele Unkosten, außerdem hing der Erfolg eines Restaurants von den Launen der Leute ab.
»Wer soll die Fabrik leiten?«, fragte ihr Vater.
Dora und ihre Mutter blickten sich an.
»Ich will keine Fabrik leiten«, sagte Dora. »Ich möchte ein Restaurant.«
Am Ende gab ihr Vater nach. Dora besaß die Arbeitsethik der Familie. Sie verstand, wozu man arbeitete. Er wusste, dass sie sich ins Zeug legen würde.
Mit dieser Einstellung wurde sie Chefkonditorin in der Tulpe . Das Restaurant machte offensichtlich guten Umsatz, und Dora hatte das Gefühl, etwas lernen zu können, wenn sie dort arbeitete und sich alles genau ansah.
»Das Restaurant ist ein gutes Vorbild«, sagte ihr Vater. »Auch wenn ich gehört habe, dass es aus der Mode kommt. Das muss man sich immer vor Augen halten. Kartoffelchips und Eis kommen nie aus der Mode. Wärme auch nicht.«
Dora nickte. Sie verstand seine Worte nur zu gut, aber sie wollte ein eigenes Restaurant, und sie wusste, dass die Tulpe das beste in der Stadt war.
Sie hatte nie vorgehabt, lange zu bleiben, nur bis sie verstanden hatte, wie alles lief. Doch kaum hatte sie dort angefangen, wollte sie sofort kündigen. Elsas Arbeitsstil – zerstreut und planlos – war genau das Gegenteil dessen, was sie zu Hause gelernt hatte. Dora war überzeugt, dass Elsas Erfolg sich dem Zufall verdankte – sie hatte einfach Glück gehabt.
Dora sah, wie viel Verschwendung Elsa zuließ: Zeit wurde verschwendet und Geld. Sie sah, dass der Arbeitsplatz des Tellerwäschers veraltet und ineffizient war. Sie sah, dass zu viele Gerichte auf der Speisekarte standen. Sie sah auch, dass die besten Angestellten – zum
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