Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
Bauch des Pferdes war schnell geschlossen und der Mann wieder in der Behausung verschwunden, ohne dass er auch nur einmal aufgesehen hätte. Jesco bemerkte, dass die Satteltaschen prall gefüllt waren.
Er wusste wirklich nicht, was er hier zu tun hatte. Doch Gottes Wege waren schließlich nicht seine Wege.
Seine Schritte führten ihn an dem schnaubenden Pferd vorbei direkt auf die geöffnete Tür zu. Sekunden, bevor er die Hütte erreichte, kam der fremde Mann, Herr Adlam, wieder heraus. Jesco blieb stehen. Der Mann sah ihn nur kurz an und ging, ohne inne zu halten, an ihm vorbei. Er befestigte zwei Beutel an dem Pferdesattel und er hob den Fuß in den Steigbügel, um aufzusitzen. Jesco hatte keine Ahnung, wie man ihn aufhalten konnte. Es war ihm nicht einmal klar, was er sagen sollte, denn er kannte den Grund, warum er hier war, selbst nicht. Und plötzlich kamen ihm Worte über die Lippen, die nicht seine eigenen waren. Er hatte sie noch heute Morgen in den Psalmen gelesen: "Der Hohn hat mein Herz gebrochen und es ist unheilbar; und ich habe auf Mitleid gewartet - aber da war keins...". [1]
Der Fremde ließ seinen Fuß sinken, wandte sich zu Jesco um. In seiner Miene war deutliches Befremden abzulesen.
"Was ist das?" fragte er.
"Ein Text aus dem Alten Testament", erwiderte Jesco mechanisch.
Nach einem kurzen Moment der Stille wollte sein Gegenüber in vernehmlich schärferem Tonfall wissen: "Was willst du hier?"
"Wovor laufen Sie davon?" war Jescos Gegenfrage.
Doch der Mann war ganz offensichtlich nicht gewillt, darauf zu antworten. Seine Züge verhärteten sich. Er schüttelte den Kopf, drehte sich wieder zu dem Pferd und stemmte sich in den Sattel.
"Ich glaube,", sagte Jesco in festem Ton, "dass Gott zu Ihnen sprechen möchte." Denn das war es, was er in seinem Inneren spürte.
Der Mann wandte ihm wieder das Gesicht zu, doch in seiner Miene war nichts als kalter Spott zu lesen: "Richte ihm aus, wenn du ihn triffst: Es ist zu spät, falls er es noch nicht bemerkt hat."
Das Pferd riss an den Zügeln und konnte den nächsten Galopp offensichtlich kaum erwarten. Doch Herr Adlam hielt es noch zurück und richtete die Augen über den Kopf des Tieres hinweg den Strand hinauf. Jesco folgte seinem Blick. Von Weitem erblickte er ein sich schnell nahendes Pferd, einen schlanken Fuchs. Jesco kniff die Augen zusammen, denn er glaubte im ersten Moment, nicht richtig zu sehen: Der Reiter des Fuchses trug eine schwarze Kapuze über dem Kopf, die nur mit schmalen Sehschlitzen versehen war. Außerdem war er in ein schwarzes Gewand gehüllt, das hinter ihm im Wind flatterte. Dies war ein wahrlich bizarrer Anblick.
Die vermummte Gestalt näherte sich rasch. Und als der gesichtslose Reiter bis auf wenige Meter herangekommen war, hob er den Arm und schleuderte ein dunkles Stück Stoff in den Sand, direkt vor die Füße des schwarzen Hengstes. Einen Augenblick später wendete der Fuchs in einem solchen Tempo, dass es ihn dabei beinah von den Beinen riss. Sand stob unter den Hufen auf.
Herr Adlam gab die Zügel des Hengstes frei und das Tier machte einen mächtigen Satz nach vorn. Im nächsten Moment war das schwarze Pferd an der Seite des davongaloppierenden Fuchses. Innerhalb von Sekundenbruchteilen wurde der Reiter des roten Pferdes aus dem Sattel gerissen, fiel rücklings herunter und klatschte in den feuchten Sand. Was diesen Sturz genau verursacht hatte, das konnte Jesco nicht erkennen. Herr Adlam hatte nicht einmal die Hand nach dem Vermummten ausgestreckt.
Jesco setzte sich in Bewegung, in Richtung des Gestürzten, und hob unterwegs das Stoffstück von der Erde auf. Er sah, dass der Fuchs noch einige Galoppsprünge machte, dann aber in eine langsamere Gangart fiel und in einiger Entfernung schließlich stehen blieb. Herr Adlam wendete sein Pferd und saß neben dem am Boden liegenden Mann ab. Jesco erschien diese Szene beinah wie ein dejà vue Erlebnis: Schon wieder lag dort jemand reglos auf der Erde und Herr Adlam beugte sich über diese Person. Er fragte sich ernsthaft, ob dies nun zu einer täglichen Routine werden würde. Jesco erreichte den Ort des Geschehens, als Herr Adlam gerade den Gestürzten offensichtlich nach Waffen abgetastet, irgendetwas in seine Manteltasche gesteckt und anschließend der Person die Kapuze vom Kopf gezogen hatte. Darunter kam das Gesicht eines etwa vierzigjährigen Mannes zum Vorschein, der einen ungepflegten Schnurrbart trug und mit geweiteten, wasserblauen Augen zu ihnen hinauf
Weitere Kostenlose Bücher