Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
Weg
Sie haben ihr Lager in einem tiefen Tal aufgeschlagen, zwischen dem Fluss und einem ausgedehnten Waldstück. Naht man sich ihnen von Süden, wie ich es gestern tat, so hat man vom Berg aus einen prächtigen Blick weit über Zelte und Wagen, Menschen und Vieh. Dieses Völkchen sucht selten die Nähe von festen Ortschaften. Sie sind keine Gaukler und Taschenspieler. Sie bieten sich nicht dem modernen Stadtmenschen als Wahrsager oder Schuhputzer feil.
Auch das Äußere dieser Menschen ist unterschiedlich zu dem der allseits bekannten Zigeuner. Sie sind sehr hellhäutig, dennoch zumeist mit dunklen Haaren und Augen. Gemeinsam mit den Zigeunern ist ihnen, dass sie einen eher schmalen Körperbau besitzen. Die Größe der Erwachsenen liegt im mittleren Durchschnitt.
Ich war gelinde gesagt fasziniert, als ich in den alten Schriften zum ersten Mal auf dieses Volk gestoßen bin. Ihre Wurzeln sind weiter zurück zu verfolgen, als die irgendwelcher anderen Menschen, mit Ausnahme der Juden. Sie haben seit Jahrtausenden keine feste Heimat, sind fahrendes Volk. In der heutigen Zeit sind sie auf sehr wenige, vergleichsweise kleine Sippen geschrumpft. Wer sich mit einem Angehörigen eines anderen Volkes vermischt, verlässt die jeweilige Sippe. So sind sie bis heute relativ reinen Blutes. Und eine wahre Fundgrube an uralten Erbanlagen eines vergangenen Herrschergeschlechts.
Vielleicht ist es ihnen zuzuschreiben, dass man den Zigeunern das Beherrschen schwarzer Magie nachsagt. Doch die meisten Zigeuner sind nichts als geschickte Trickser. Ich habe trotz einiger Bemühungen nie einen halbwegs würdigen Schüler unter ihnen gefunden.
Aber dieses Volk ist einzigartig.
Sie nennen sich selbst Bacidas. Das Wort ist einer längst untergegangenen Sprache entnommen und bedeutet wahrscheinlich so viel wie "Ent-eignete". Sie selbst sagen, sie seien in ferner Vergangenheit ihrer Heimat beraubt worden. Seitdem befinden sie sich auf der Suche nach dem verlorenen, sagenhaften Land und nicht willens, an einem anderen Ort Wurzeln zu schlagen.
Ich habe die Bacidas bereits häufiger besucht. Ihre Gastfreundschaft hält sich sehr in Grenzen. Sie begegnen Fremden zumeist mit ungeschminkter Ablehnung. Aber mir ist es gelungen, die eine Beziehung zu knüpfen, die mir wichtig war. Ich muss nicht Freund der ganzen Familie sein, wenn mein Verlangen einzig einer ihrer Töchter gilt.
Es sind einige Jahre vergangen, seit ich Elisa zuletzt meine Aufwartung machte. Doch musste ich feststellen, dass meine Erinnerung an sie mich nicht trog. Ich bin weit in der Welt herumgekommen und habe dennoch nie eine Frau getroffen, die ihr annähernd gleichkommt. Die Anziehungskraft ihres Äußeren ist dabei von zweitrangiger Bedeutung. Vielmehr ist es derjenige Schatz, der im Inneren dieser Frau ruht, der mich ein weiteres Mal in den Bann geschlagen hat. Ein solches Juwel kann es nicht noch einmal auf dieser Erde geben, da bin ich mir sicher. Dass sie existiert und ich sie unter den Milliarden anderen gefunden haben, sind zwei äußerst glückliche Umstände, die ich nicht als Produkte reinen Zufalls zu bezeichnen vermag.
Durch Elisa wird meine Vision greifbares Fleisch und Blut.
Ich strebe aus tiefer Überzeugung stets danach, Männer als meine Helfer und Schüler um mich zu sammeln. Mit Frauen pflege ich keine Art von Zusammenarbeit.
Elisa ist die einzige ihres Geschlechts, die meinen Respekt verdient - sie zu meiner Feindin zu machen wäre eine große Dummheit, immerhin hat sie relativ mächtige Freunde. Elisa auf meiner Seite zu haben verspricht mir einen weitaus größeren Profit, ohne einen kräftezehrenden Kampf zu riskieren. Mein Bund mit ihr wird sich als lohnenswerte Investition erweisen.
Ich habe mich bei meinem Eintreffen im Tal auf kürzestem Weg zu ihr begeben. Sie war am Flussufer mit der Wäsche beschäftigt und hielt sich dabei, wie zumeist, etwas abseits der anderen Frauen. Die Menschen, an denen ich vorüberkam, warfen eher missmutige als neugierige Blicke auf mich. Die meisten von ihnen haben mich bereits diverse Male zuvor gesehen, doch war und blieb ich für sie ein Fremder.
Elisa ließ ihre Arbeit stehen und gesellte sich zu mir, um am Fluss entlang das Umfeld des Lagers zu verlassen. Ihr glattes, rabenschwarzes Haar trägt sie, wie damals, noch immer ständig offen. Doch sind schon viele graue Strähnen darin zu sehen. Auch ihr bei meinem letzten Besuch - trotz ihres nicht mehr jugendlichen
Weitere Kostenlose Bücher