Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
Alters - noch beinah makelloses Gesicht hat heute einige feine Fältchen bekommen, die ihre Schönheit dennoch nicht trüben. Sie legte den Arm um meinen, und ich ließ es geschehen. Ich muss gestehen, dass ihre Berührung, wie schon vordem, ein Gefühl in mir auslöste, das mir nur aus meiner frühesten Jugend bekannt ist. Es ist mehr als bloße körperliche Erregung. In solchen Momenten wäre mir das Wissen lieb, sie töten zu können, wenn ich wollte. Doch ihre unsichtbaren Begleiter besitzen eine kaum abschätzbare Macht, sich mit ihnen anzulegen, würde große Mühen kosten. Und vielleicht noch mehr als nur Mühe.
Unser Gespräch bestand aus jenem reizvollen Balanceakt zwischen Distanz und Nähe, der mir aus damaligen Treffen noch in guter Erinnerung ist. Ihr war deutlich bewusst, was der Hauptgrund meiner Anwesenheit ist. Und sie versuchte keine Ausflüchte, sondern stellte sich dem Notwendigen mit bemerkenswerter Tapferkeit. Sie teilte mir mit, dass nicht nur für ihre Tochter, sondern auch für sie selbst der Tag des Abschieds von ihrem Volk gekommen sei. Sie habe entschieden, dass ein vollständiger Schluss-Strich am besten sei. Man habe sie aufgrund der Verbindung zu "dem Hünen" einmal zu oft zur Rede gestellt. Die Vermutung, das Mädchen, Jolin, sei in Wahrheit das Kind des Fremden, stehe ständig unausgesprochen im Raum. Und wenn Jolin mit dem heutigen Tag verschwände, würde es die Situation Elisas, ihrer Mutter, noch verschlechtern.
Deutlich spürbar war, dass die bevorstehende Trennung von ihrer Sippe sie schmerzte. Niemand, außer wir beide, weiß, dass Elisa vor vielen Jahren eine Entscheidung getroffen hat, die Rettung in tiefster Not für ihr Volk bedeutete. Ohne ihre Tapferkeit wären innerhalb weniger Jahrzehnte die Bacidas von diesem Erdball getilgt.
Der Bund zwischen mir und ihr hat das Überleben aller Nachkommen ihres Volkes gesichert. Der Preis dafür war, in Anbetracht des möglichen Verlustes, gering: ein Kind für das Leben vieler. Jolin gehört mir. Und mit ihr jegliche Frucht, die ihr Leib mir bringen wird.
Obwohl ich sie als kleines Kind zuletzt gesehen habe, hätte ich Jolin aus Tausenden halbwüchsiger Mädchen wiedererkannt. Sie besitzt die Züge ihrer Mutter, dazu dieselben nachtschwarzen Augen und eine für ihr Alter und ihre Sippe überdurchschnittliche Körpergröße. Ihr Haar ist, abweichend von Elisas, dunkelbraun und leicht lockig. Man sieht deutlich, dass sie den Weg zum Frausein bereits beschritten hat. Die richtige Zeit also, um meine Pläne mit ihr durchzuführen.
Aus dem Jungen, Asno, ist ein naseweiser Halbwüchsiger geworden. Er hat ständig acht auf seine kleine Schwester und ist lästiger als eine hungrige Ratte. Ich habe Anlass zu vermuten, dass Elisa ihm ein Wort zu viel erzählt hat. Sie ist dem Bengel auffällig stark zugetan. Asno ist mehr als nur ihr Sohn. Er wird einmal ihr Erbe sein.
Wenn ich mir den Jungen betrachte, wünschte ich mir, ich hätte den schleichenden Tod damals nicht von ihm abgewendet. Doch auf diese Weise hätte ich mir die Treue seiner Mutter nicht erkaufen können. Asno ist ein Ärgernis, stellt aber, nüchtern betrachtet, keine reale Gefahr dar. Ich sollte ihn und seine Frechheiten vorerst ignorieren. Bereits morgen Früh wird seine kleine Schwester, die zu schützen er als seine Aufgabe auserkoren hat, weit fort sein und auch er wird gemeinsam mit Elisa sein Volk verlassen müssen. Vielleicht ahnt oder weiß er das bereits, doch wird er es nicht verhindern können.
Elisas und meine Wege werden sich in dieser Nacht wieder trennen. Doch wird sie reichlich versorgt sein, das ist Teil unserer Abmachung. Ich werde beobachten, wohin sie geht. Dies ist nicht unser letzter Kontakt. Und wenn alles nach Plan verläuft, dann werde ich Jolin irgendwann zurück in die Obhut ihrer Mutter geben.
Elisa glaubt, ihre Tochter niemals wiederzusehen.
Sie wird überrascht sein.
3. Spuren
------- JESCO FEY -------
Tadeya war nicht immer pünktlich. Dass sie jetzt noch nicht hier war, lag durchaus im Bereich des Normalen. Und doch verspürte Jesco eine merkwürdige Unruhe in seinem Inneren, als wenn irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung sei.
Am vorigen Abend hatten sich beide recht spät und etwas erschöpft voneinander verabschiedet. Den zwar angeschlagenen, aber äußerst aggressiven Jon zu einem Arzt zu bringen, hatte sich als wahrer Kraftakt erwiesen. Erst, als Jesco ihm den Koffer mit dem
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