Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
war es höchstens zwei Jahrzehnte alt. Es war, bis auf das mächtige Eichenholztor an der Front, architektonisch unauffällig und schlicht geweißelt.
Zwischen den Bäumen gab es einen freien Blick auf die eingezäunte, großräumige Koppel, die seitlich an den Garten grenzte. Die beiden grau-gelben Kaltblüter standen dort mit gesenkten Köpfen, grasend. Doch das an sich friedliche Bild fand ein jähes Ende, als Jesco die Rückseite des Hauses erreichte: Einige Meter vom Gebäude entfernt war die Rasenfläche in einem Durchmesser von mehr als vier Metern wie von einer Explosion zerrissen und die Erde einige Zentimeter tief aufgewühlt. Eine große Zahl Zweige und Äste von den umstehenden Bäumen lagen am Boden.
Jesco wandte den Blick zur Hauswand. Diese schien ihm zuerst unversehrt. Aber bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass sämtliche Fensterscheiben in beiden Stockwerken zerstört waren. Wenige Reste scharfkantiger Glasstücke hingen noch in den teilweise ebenfalls zersplitterten, hölzernen Fensterrahmen. Auf dem Boden um sich herum konnte Jesco keine Scherbe entdecken.
Er verlangsamte seine Schritte. Er spürte deutlich, wie sich sein Herzschlag erhöhte. Die Zerstörungskraft, die hier ihre Spuren hinterlassen hatte, war vergleichbar mit der einer guten Ladung Dynamit, die mitten im Garten gezündet worden war und deren Druckwelle die Fensterscheiben nach innen gedrückt hatte. Jedoch, obwohl die Spuren am Boden sehr frisch erschienen, fehlte der typische verbrannte Geruch in der Luft.
Durch eines der größten Fenster im Erdgeschoss, das dem Explosionsherd genau gegenüberlag, blickte Jesco direkt in das Haus hinein. Der Boden des Raumes war übersät von Scherben. Die schweren Vorhänge, die ehemals von innen das Fenster verhangen hatten, lagen inmitten der verstreuten Glasstücke. Und in dem Chaos stand Elisa Sleyvorn, in aufrechter Haltung. Das glatte, schlohweiße Haar trug sie wie zumeist offen. Und in eben diesem Augenblick wandte sie ihren Kopf und schaute Jesco aus dunklen Augen unvermittelt ins Gesicht. Ein wenig fühlte sich Jesco wie beim Schnüffeln ertappt, doch das Unbehagen lastete nicht allzu schwer. Vielmehr wollte er in Erfahrung bringen, was genau hier geschehen war. Und darum hielt er sich nicht damit auf, lange zu erklären, was ihn dazu veranlasste, auf Elisas Privatgrundstück herumzuspazieren und durch die glaslosen Fenster zu spähen. Er fragte geradeheraus: "Frau Sleyvorn, was ist passiert?"
Sie drehte sich vollständig zu ihm um und ihr Gesichtsausdruck bedeutete ihm, dass er sich nicht willkommen zu fühlen hatte.
"Jesco Fey", sprach sie laut und deutlich seinen Namen. Jesco hätte zuvor daran gezweifelt, dass sie überhaupt wusste, wer er war. Sie hatten sich bisher niemals ein Wort miteinander gewechselt. "Ich nehme an, Sie führt nicht der Zufall her."
Ihr Blick und ihre Art, mit ihm zu sprechen, ließen Jesco in diesem Moment ahnen, dass sie über die Beziehung zwischen Tadeya und ihm besser informiert war, als er bisher angenommen hatte. Dass er sich auf der Suche nach Elisas Enkelin befand, schien ihr ein offenes Geheimnis. Langatmige Erklärungen oder gar Rechtsfertigungsversuche waren hier fehl am Platz.
Er entschloss sich, geradeheraus zu fragen: "Wo ist Tadeya? Geht es ihr gut?"
"Ich habe kein Verlangen, mit Ihnen darüber zu sprechen", war Elisas abweisende Antwort. "Und wenn ich Besuch empfangen wollte, dann hätte ich Ihnen die Tür geöffnet, als sie läuteten."
"Ich möchte Tadeya sehen", beharrte Jesco auf sein Anliegen. "Ich will mit ihr sprechen und sehen, ob sie unversehrt ist."
"Und ich möchte,", erwiderte Elisa kalt, "dass Sie umgehend mein Grundstück verlassen."
So, wie Frau Sleyvorn dort stand, mit durchgestrecktem Rücken, erhobenem Haupt und einem Blick, der wahrscheinlich glühende Kohlen gefrieren lassen konnte, kam sie Jesco vor wie der Inbegriff einer absolutistischen Herrscherin. Man wagte kaum, ihr zu widersprechen. Die kleine Geste mit der Hand bedeutete ihm, wo der Weg zurück zum Tor war.
Doch wenn es eine Untugend gab, die Jescos Leben nicht regierte, dann war das die Menschenfurcht. Man konnte ihn nur schwerlich einschüchtern.
"Tadeya war mit mir verabredet", stellte er frei heraus fest. "Sie ist nicht erschienen. Ich denke, ich habe ein Recht, mich um sie zu sorgen. Besonders, wenn ich dies hier sehe." Er deutete auf das Chaos um sie beide herum. "Verstehen Sie bitte,", fügte er hinzu mit einem langen Blick in ihre Augen,
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