Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
miterleben durfte.
"Wie kann ich sie finden?" fragte er nun seinen Herrn. "Vielleicht bausche ich die ganze Sache auf und sie ist völlig unversehrt, ganz in meiner Nähe. Ich muss darüber Gewissheit haben. Halte du bitte deine Hand über sie. Und, Vater, bitte, führe mich zu ihr."
Die Antwort ließ nicht auf sich warten, obwohl sie ihm rätselhaft erschien. Einen etwa halbstündigen Fußmarsch von hier entfernt, am Rande des Ortes, gab es einen kleinen Gasthof mit vier Gästezimmern und einem Schankraum. Man konnte dort günstig eine deftige Mahlzeit bekommen. Doch sein Geld hatte, seit er sich an diesem Ort aufhielt, nie dazu gereicht, überhaupt in irgendeine Gaststätte einzukehren. Sein Verlangen danach war auch nicht sehr groß, denn verrauchte Kneipen hatte er in seinem Leben zur Genüge von innen gesehen. Dem Wirt des Gasthofes war er einmal auf dem Fischmarkt am Hafen begegnet und mit ihm ins Gespräch gekommen. Und genau diesen Mann hatte er nun vor Augen, wie er an einem Zapfhahn stand und schäumendes Bier in hohe Krüge füllte.
Jesco hatte noch einige Scheine von dem überraschenden Geldsegen in der Tasche. Kurzerhand entschloss er, den Gasthof aufzusuchen und sich dort ein kühles Glas zu genehmigen. Erstaunlicherweise empfand er über diesen Gedanken ein wenig Freude, obwohl seine Sorgen nicht fortgeblasen waren. Doch wenn es Antwort gab, dann gab es auch Hoffnung, dessen war er gewiss.
Hinter dem Tresen stand der Gastwirt, die eine Hand am Zapfhahn, die andere im flinken Wechsel an den zu füllenden Krügen. Jesco hatte sich einen Platz auf einen der hohen Hocker an der Theke ausgesucht und war über einen seichten Plausch mit dem Kneipier nicht hinausgekommen.
Der Schankraum erwies sich als nicht halb so verraucht, wie Jesco es sich ausgemalt hatte. Mit den dunklen Stadtkneipen, die oft Treffpunkt gewesen waren für ihn und einen Haufen so genannter Freunde, hatte dieser Ort kaum etwas zu tun. Es saßen sogar zwei junge Damen in Begleitung einer älteren Gouvernante an einem Tisch am Fenster. Dabei handelte es sich zweifellos nicht um die Art von Mädchen, die des Öfteren auf Jescos Schoß Platz genommen und ihm mit einem Augenaufschlag seine drei letzten Geldstücke aus der Tasche gezaubert hatten.
Das Bier schmeckte ihm sehr gut, und ehe er es sich versah, war er bereits beim zweiten Krug angelangt. Mit jedem weiteren Schluck jedoch und jeder Minute, die verstrich, beschlich ihn das Gefühl, eine düstere Wolke senke sich mehr und mehr auf ihn herab. Er rechnete kaum damit, dass die Tür aufging und Tadeya wie aus dem Nichts hineinspazierte. Trotzdem ließ er den Eingang zur Schänke die erste Zeit über nicht aus den Augen.
Als er den dritten Krug bestellte, machten sich nagende Zweifel in ihm breit, ob er sich wirklich am richtigen Ort befand. Vielleicht, so mutmaßte er, war das Bild des zapfenden Wirtes nur aus dem unbewussten Wunsch heraus entstanden, seine Sorgen in Alkohol zu ertränken. Und damit wäre er keinen Schritt weiter, als zuvor. Dann wäre es wirklich sehr viel sinnvoller gewesen, heimlich in Elisas Haus einzudringen und die Räume nach Hinweisen zu durchstöbern. Oder die kleine Steinhütte am Strand aufzusuchen und dort nachzusehen, ob der Bewohner irgendetwas zurückgelassen hatte, was Jesco weiterhelfen könnte. Vielleicht verstrich jetzt gerade wertvolle Zeit, die, auf vernünftige Weise eingesetzt, Tadeyas Leben retten könnte. Und er saß hier herum und trank ein Bier nach dem Nächsten.
"Das hatten wir schon", murmelte er vor sich hin. "Menschliche Vernunft versus Heiliger Geist." Er musste ein wenig lächeln.
"Wusstest du schon,", sagte der Wirt, "dass die Neuberg-Werft nicht mehr die Neuberg-Werft ist? Das war eine ganz plötzliche Sache. Heute Morgen verkauft an den Dörenhaus. Und der Kerl hat sich jahrlang krumm und schief gebuckelt, um die Neuberg-Werft pleite zu machen oder sie in die Hand zu bekommen. War eine harte Konkurrenz für den reichen Sack. Und plötzlich gehört sie ihm. Jetzt hoffen natürlich alle, dass keine Leute gefeuert werden unter dem neuen Chef."
"Ja", antwortete Jesco, ohne richtig hingehört zu haben. "Hoffe ich auch."
"Die Spiele der Großen und Reichen versteht wirklich kein Schwein", fuhr der Wirt fort. "War doch die Werft immer Heinrich Neubergs ganzer Stolz."
"Vielleicht,", stellte Jesco die halbherzige Vermutung an, "brauchte Herr Neuberg sehr schnell sehr viel Geld. Auch die Großen und Reichen sitzen manchmal
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