Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
Einzig, weil er sich unter den Augen seines Meisters befand, gelang es ihm, sich so weit zusammenzureißen, dass er nicht die Hände vor das Gesicht schlug oder gar zu schreien anfing. Er stand einfach wie erstarrt da und ballte die schwitzenden Hände zu Fäusten.
"Robin", sagte die ruhige, starke Stimme seines Meisters hinter der schrecklichen Erscheinung. Im selben Moment war ein Teil der Angst wie weggefegt und er fühlte sich wieder in der Lage, sich ein wenig zu rühren. Hörbar zittrig erwiderte er "Hier bin ich, mein Herr", während er versuchte, an der vibrierenden Kreatur vorbeizusehen, die keine sichtbaren Augen besaß und ihn doch anzustarren schien.
"Was habe ich dir über sie gesagt?" hörte er seinen Meister, den er als flirrenden, großen Schatten hinter der Erscheinung erkannte.
Robin räusperte sich kräftig und versuchte, Haltung anzunehmen. "Sie können ... sie können mir nichts anhaben", sagte er und richtete seinen Blick mit großer Überwindung direkt auf das pulsierende Wesen. Einen Moment lang hatte er das Gefühl, sein Gehirn werde direkt in einen Wirbelsturm gerissen, in den Ohren ertönte ein schrilles, lang gezogenes Pfeifen und die Augen versagten ihm. Dann war plötzlich alles wieder klar, ohne dass sich etwas Sichtbares verändert hätte. Noch immer stand das Unsagbare dort vor ihm mitten im Raum. Er wiederholte nun mechanisch die soeben gesprochenen Worte und vervollständigte sie. "Sie können mir nichts anhaben. Solange du bei mir bist."
"Und?" fragte die Stimme des Meisters über den pulsierenden Herzton hinweg, der noch immer durch Robins Kopf drang.
"Ich werde lernen...", begann Robin, doch dann stockte er. Konnte er das sagen, während dieses Wesen vor ihm stand und ihn fixierte, als ob es ihn gleich schon in Stücke reißen wollte? Doch er musste es aussprechen, sonst würde seine Angst nie vergehen. Also entschloss er sich, den Satz ganz schnell zu sagen, um ihn so zügig wie möglich aus seinen Gedanken heraus nach draußen zu befördern. "Ich werde lernen sie zu beherrschen."
"Jetzt komm her", befahl ihm sein Herr.
Robin atmete tief durch, hielt dann die Luft an, schloss fest die Augen, senkte den Kopf, trat mit fünf schnellen, großen Schritten nach vorn und wäre im nächsten Moment beinah gegen seinen Meister geprallt, hätte dieser ihn nicht mit einer Hand an die Schulter gegriffen, um ihn zu stoppen.
"Das nächste Mal", mahnte ihn dieser, "lässt du deine Augen geöffnet. Denn in Konfrontation mit dem Gegenstand deiner Angst die Augen zu verschließen, ist kein Zeichen des Mutes, sondern der Dummheit."
Robin nickte zur Antwort nur stumm. Er spürte den kalten Schweiß auf seinen Handflächen, während ihm die Kehle staubtrocken erschien. Sein Meister wandte sich im nächsten Moment von ihm ab, zur Tür, während er ihm zu folgen gebot. "Wir haben es eilig, mein Junge. Die Pferde stehen schon bereit."
Im selben Augenblick, als Robin den Raum verließ, nahm er deutlich wahr, dass das Wesen hinter seinem Rücken sich ihnen anschloss. Diese Erkenntnis beschleunigte seinen Schritt um einiges. Wie ein kleiner Junge, der sich in einem dunklen Wald verlaufen hat, wollte er sich auf keinen Fall dabei umschauen und womöglich einen Blick auf den Spuk erhaschen, der ihm im Nacken saß. Doch genau wie der besagte kleine Junge wusste er heute genau, dass es eine Zuflucht gegen die Angst gab; eine Hand, die stark genug war, dem ganzen Zauber wenn nötig Einhalt zu gebieten. So viele Jahre seines vorherigen Lebens hatte er auf genau diese starke Hand verzichten müssen, ja, nicht einmal zu hoffen gewagt, dass sie irgendwo auf dieser Welt wirklich existierte. Tatsächlich war er zwanzig Jahre lang durch den dunklen Wald gelaufen, ohne als Ziel seines Irrgangs tröstende Arme und die Geborgenheit eines hell erleuchteten Hauses zu erwarten.
Draußen standen zwei der schönen Füchse angebunden an einem Baum. Friedrich hatte sie gesattelt und hergebracht. Er grüßte Robin noch von Weitem, bevor er auf dem Weg zurück zu seiner Unterkunft hinter einem Hügel verschwand. Robin hatte das Reiten bei seinem Stiefvater erlernt, der einen großen Stall voll edler Rösser besaß. Doch diese großen, schlanken Füchse wären selbst in der Sammlung des reichen Grafen noch ein besonderer Augenschmaus gewesen.
Nur wenig später ritt Robin bereits in recht schnellem Trab an der Seite seines Meisters durch die sichtbar dahinschmelzende Winterlandschaft. Die Kraft der Sonne hatte seit
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