Elwin - Rosenwasser (German Edition)

Weg, der nun sachte anstieg und eine Linkskurve beschrieb. Bald war Longor hinter einem runden Hügel verschwunden. In einem weiten Bogen durchschnitt der Weg eine Wiese. Zu ihrer Rechten lag ein großer Wald, der nicht so ganz in die Landschaft passte. Rechteckig angelegt, stand er inmitten der Wiese, so, als hätte ein Gärtner einen riesigen grünen Würfel in die Landschaft gelegt. Die Bäume standen dicht gewachsen, einer dunkelgrünen Mauer gleich.
    Groohi war in Eile, verließ hastig den Weg und marschierte quer über die Wiese direkt auf den Wald zu. Sie kamen rasch näher, sahen das Unterholz, wild und ursprünglich. Efeu und rotgelb blühende Kletterpflanzen hatten die Bäume dicht umwoben. Kiefern, Birken und Eichenbäume wuchsen wild durcheinander.
    »Schau dir bloß diesen kunterbunten Wald an«, brummte Groohi. »So einen Irrsinn an Pflanzen findest du nicht in unberührter Natur. Fofenda hat alles nach ihren Wünschen umgestaltet.«
    »Sie verwünscht Bäume?«, fragte Elwin sichtlich überrascht.
    »Sie verwünscht sie nicht, sie erfindet neue Arten, sogar Pflanzen, die ihr gehorchen.« An einer Birke blieb Groohi stehen, hier war das Dickicht offen, ein schmaler Fußweg führte in den Wald. »Ich möchte nicht verfolgt werden, von wem auch immer. Kannst du jemanden sehen oder hören?«
    Elwin stellte die Ohren auf und lauschte. Über dem Wald hörte er Flügelschläge eines großen Vogels. Er hob den Kopf, suchte, vermochte ihn aber nicht zu sehen. Aus Longor drangen verschwommen Laute zu ihm durch. Die Bewohner hatten sich auf dem Marktplatz eingefunden. Gemeinsam mit Groohi schaute er über die Wiesen. »Niemand da«, fasste er seine Beobachtung zusammen.
    »Bringen wir es endlich hinter uns«, sagte Groohi bedrückt, drehte sich um und betrat langsam den Wald. Elwin folgte ihm. Anfangs schlängelte sich der Pfad als dünne schwarze Spur über den Boden, die sich aber rasch in dunkelgrünem dicht gewachsenem Efeu verlor. Groohi blieb stehen, neigte sich zu Elwin und flüsterte: »Sei auf der Hut vor diesen Pflanzen! Jeder denkt, es sei Efeu, aber diese Biester sind ein hinterhältiges Gewächs aus Fofendas Hexenküche. Pass auf! Ich zeige dir, mit was wir es zu tun haben.«
    Groohi bückte sich, griff nach einem kleinen Stein und schleuderte ihn in das Meer grüner Blätter. Da hoben die Pflanzen die Stiele und drehten ihre Blätter wie große Ohren zu der Stelle, wo der Stein auf die Erde gefallen war. Einen winzigen Moment später durchlief eine Welle die Blätter, gleich einer Welle auf einem See, in den ein Stein geplumpst war. Elwin spürte einen Lufthauch auf dem Fell, seine Haare stellten sich auf. Die Pflanzen drehten ihre Blätter zu den Freunden, verweilten eine Weile, schließlich sanken sie zu Boden.
    »Sieht alles wieder ganz harmlos aus«, höhnte Groohi. »Dabei sind die Biester jetzt gefährlich, denn sie haben uns bemerkt.«
    Elwin verstand nicht.
    »Heb mal einen Fuß und stoß mit dem Stiefel sachte an die Blätter«, bat Groohi.
    Kaum hatte Elwin das erste Blatt berührt, da knisterte die Luft und es roch nach einem Kurzschluss, wie er es an einer Küchenmaschine in Sterns Wohnung erlebt hatte.
    »Ohne diese Stiefel hättest du jetzt einen heftigen Schlag erlitten«, erklärte Groohi. »Kinder, ältere Leute, jemanden mit durchnässter Kleidung, die packt dieser Schlag völlig unerwartet. Viele erleiden einen Schock und sterben. Immer, wenn sich diese Biester schütteln, musst du gut achtgeben. Je heftiger, desto achtsamer. Die Stiefel schützen uns.«
    »Puh«, schnaufte Elwin. »Sind alle Pflanzen so gefährlich?«
    »Beinahe. Diese blaugrüne Art ist ... ich glaube, in der Menschenwelt sagt man elektrisch. Wir nennen sie Knisterfeu. Doch in diesen Stiefeln geschieht dir nichts.«
    Elwin bedankte sich sichtlich beeindruckt.
    »Gerne«, erwiderte Groohi schmunzelnd und führte den Freund weiter in den Wald. Jedes Mal, wenn sie einen Baum passierten, zählte er leise oder änderte die Richtung. An einem gelb blühenden Ginsterbusch bog er diesmal nach Osten ab.
    »Der direkte Weg zum Brunnen ist nichts anderes als das sorgsame Zählen von Bäumen und Sträuchern«, erklärte Groohi leise. »Gelber Ginster bedeutet ›Gehe nach Osten‹, der weiße Stamm einer Birke schickt dich nach Süden, Farne nach Westen und die grüne Kiefer nach Norden. Man muss nur die richtigen Zahlen kennen.«
    Mitten im Wald fingen die Baumkronen das Licht der Morgensonne ab und ließen nur wenige