Elysion: Roman (German Edition)
loslassen!
Ihre Finger krampften. Sie spürte, wie seine Haut Millimeter um Millimeter an ihrer entlangrutschte. Wieder bewegten sich seine Lippen.
Hilf mir, Cooper!
Sie drückte ihre Finger zusammen, so fest sie konnte. Dann spürte sie ein seltsames Prickeln auf der Haut.
Erschrocken starrte sie Brent an, sah, wie seine Finger begannen, mit ihren zu verschmelzen.
Sie ließ los.
NEIIIIIIN.
Einen Augenblick später verschwand Brent im gähnenden Schlund.
Cooper wusste später nicht mehr, wie lange sie und Stacy zwischen diesen beiden Ästen gehangen hatten. Schmal und steil, wie der Canyon war, gab es unten keine Möglichkeit, die Sonne zu verfolgen. Woran sie sich aber Jahre später noch erinnerte, war die Kälte, die ihr immer mehr zu schaffen machte. Am Ende hatten sich ihre Hände so taub angefühlt, dass sie nicht wusste, ob sie sich überhaupt noch an den Ästen festklammerte oder einfach nur von der Strömung dagegen gepresst wurde. Stacy war immer noch bewusstlos. Nur ein Stöhnen hier und da signalisierte, dass sie überhaupt noch lebte. Das Allerschlimmste aber war die Müdigkeit. Immer häufiger ertappte sie sich bei dem Gedanken, dieser Schwere einfach nachzugeben …
… die Augen zu schließen …
… loszulassen …
… davonzutreiben …
Bis irgendeine scharfe Welle oder ein Stück Treibgut gegen ihr Gesicht schlug und sie wieder in die eisige Wirklichkeit zurückholte.
Ewigkeiten verstrichen. Wurde es im Canyon dunkler, oder verließ sie ihr Sehsinn? Den Teil ihres Körpers, der ständig der Kälte des Wassers ausgesetzt war, spürte sie kaum noch. Manchmal rammte sie eines ihrer Knie mit Absicht gegen die Äste unter der Oberfläche, nur um sich zu vergewissern, dass ihre Beine noch da waren.
Zu guter Letzt verließ sie ihr Verstand.
Vater!
Er watete durch das Wasser, als ob es ihm keinerlei Widerstand bot. Mit kräftigen, zielstrebigen Schritten. So, wie er ihr früher entgegengegangen war, wenn sie von der Schule nach Hause gekommen war. Gleich würde er sie in die Arme nehmen. Er würde sie hochheben und in die Luft werfen, wieder und wieder.
Vater!
Sie spürte den festen Griff seiner Hände und den Ruck, als er sie an sich riss. Dann … war da nichts mehr.
David Tenson kam aus dem Staunen kaum noch heraus. Für einen Moment vergaß er sogar die Schmerzen, die ihm sein Bein verursachte. Mit einiger Mühe war er der Frau und dem Malach durch den Wald gefolgt. Sein Bein machte ihn langsam, dennoch wurde er Zeuge, wie die Frau zwei andere Menschen mit sich in den Fluss stürzte. Von seiner Position aus konnte er auch sehen, wie sie von der Strömung mitgerissen wurden.
Dann rannte ihn der Malach bei dem Versuch, an der Kante des Canyons den dreien zu folgen, beinah über den Haufen. Im letzten Moment konnte sich David ins Unterholz retten. Der Malach hatte ihn offenbar nicht mal bemerkt.
Im Halbdunkel zwischen Buschwerk und Farnen harrte er aus, bis das Rascheln, das der Malach verursachte, schwächer wurde. Schließlich wagte er es, den Kopf aus der Deckung zu stecken. Alles schien ruhig. Vor ihm war die Stelle, an der er die drei hatte stürzen sehen. Er hatte das Bild noch lebhaft vor Augen. Eine kleine, recht zierliche Frau mit kurzem dunklem Haar und ein großer schlanker Kerl mit Blondschopf und Modelgesicht. Beide waren von der Frau, die er zuvor belauscht hatte, den Canyon hinuntergerissen worden.
Sehr zu Davids Freude hatte der junge Kerl zuvor seinen Rucksack abgesetzt. David hatte schon eine ganze Weile weder gegessen noch getrunken. Hoffnungsvoll machte er sich über den Rucksack her. Und was er darin fand, übertraf seine kühnsten Erwartungen. Kaffee, eine Flasche Whisky, Fleischkonserven … David konnte es kaum glauben. Selbst etwas Verbandsmaterial, um damit sein Bein behandeln zu können.
Alkohol war im Elysion verboten. Erst vor wenigen Wochen hatte der Pontifex zwei Schwarzbrenner hinrichten lassen. David konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal etwas getrunken hatte. Er nahm den Whisky und wiegte die Flasche bedächtig in der Hand. Nach allem, was er in den vergangenen Stunden hatte ertragen müssen, hatte er sich einen kleinen Schluck durchaus verdient.
HAGGARD’S SINGLE MALT
T RIPLE D ISTILLED W HISKY
18 Years Old
Das Etikett kündete von besseren Tagen. Die Jahresangabe würde wahrscheinlich um mindestens ein Jahrzehnt neben der Wahrheit liegen, was seine Vorfreude nur noch verstärkte.
Mit dem Gefühl, eine sakrale Handlung zu
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