Elysion: Roman (German Edition)
vollziehen, schloss er die Finger um den Drehverschluss und …
Plötzlich Hundegebell.
David zuckte zusammen und konnte gerade noch verhindern, dass ihm die Flasche aus der Hand rutschte. Vorsichtig ließ er sie in den Rucksack gleiten und horchte in den Wald.
Da war es wieder. Noch weit entfernt, aber unüberhörbar, schien es mitten aus dem Wald zu kommen.
Er schulterte den Rucksack und überlegte kurz. Vielleicht war das nur irgendein Köter, der durch die Gegend strich. Bei ihrem Exodus aus den Städten hatten viele Menschen in der Not ihre Haustiere zurückgelassen, deren verwilderte Nachkommen nun die Wälder bevölkerten. Trotzdem konnte er kein Risiko eingehen. Leider wehte momentan eine leichte Brise aus Richtung des Flusses in den Wald hinein. Es war also relativ egal, wohin er sich wandte. Falls die Hunde und deren eventuelle Besitzer ihm nachspürten, würden sie ihm auf den Fersen bleiben. Für einen kurzen Moment erwog er, den gleichen Weg zu nehmen, den die drei vorhin genommen hatten. Allerdings befürchtete er, in den Stromschnellen zu ertrinken oder schon beim Sprung in den Fluss auf einen Felsen aufzuschlagen. Also beschloss er, weiter am Rand des Canyons entlangzuwandern.
Das Hundegebell kam immer näher. Er schluckte das mulmige Gefühl hinunter und machte sich auf den Weg.
»Wird sie sterben?«
Maras rundes Kindergesicht sah so ungeheuer sorgenvoll aus, dass Jimmy es wahrscheinlich putzig gefunden hätte, wäre der Anlass nicht so ernst gewesen.
»Nein, wird sie nicht«, antwortete er dem Kind beruhigend.
Er hoffte, dass das nicht eine glatte Lüge war. Tatsächlich hatte er überhaupt keine Ahnung. Vor ihm lag die fiebernde Ruby, der Körper über und über mit kleinen roten Punkten bedeckt. Sie konnte nicht einmal mehr Jimmys Fragen beantworten. Von Mara hatte er erfahren, dass sie, wie Mara selbst, aus dem Waisenhaus kam und sieben Jahre alt war. Ihre Eltern hatten versucht, mit ihr zurück in die Stadt zu flüchten, aber die Malachim hatten sie aufgespürt. Jimmy brauchte nicht weiterzufragen. Es war klar, wie die Geschichte ausgegangen war.
Er überwand seine eigene Angst vor Ansteckung und legte eine Hand auf Rubys Stirn. Fast alle anderen »Bewohner« des Umspannwerks umstanden sie in gebührlichem Abstand.
»Und?«, fragte Mara bang.
»Heiß. Aber das ist normal. Weißt du, das Fieber hilft ihr, wieder gesund zu werden.«
Er hoffte, dass es irgendwie beruhigend klang. Dabei war er sich bewusst, dass alle anderen Kinder und die paar Jugendlichen in seinem Alter in diesem Moment an seinen Lippen hingen, als wäre er so etwas wie ein Herrgott. Er musste gegen den Impuls ankämpfen, irgendwen anzuschreien.
»Was hat sie?«, fragte Mara.
Jimmy zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Masern oder Windpocken vielleicht.«
»Was ist das?«
Er atmete tief durch, dann stand er auf. Mittlerweile hatte sich auch Rasim zu den Neugierigen gesellt, wie er missmutig feststellen musste. »Es ist eine Krankheit, Mara. Nur eine Krankheit. Du warst doch auch schon mal krank, oder?«
Mara überlegte, dann nickte sie entschieden. »Letzten Winter hatte ich Husten und ebenfalls Fieber.«
»Und du bist wieder gesund geworden, richtig?«, fragte Jimmy.
»Ja. Belle hat auf mich aufgepasst.«
»Siehst du. Dann müssen wir jetzt auch auf Ruby aufpassen.«
»Belle hat mir auch Hustensaft gemacht und Tee gegen das Fieber. Können wir das auch machen?«
War das ein Grinsen in Rasims Gesicht? Mann, Jimmy hasste diesen Typen geradezu. »Ich schau mal, was ich tun kann, okay?«
»Dann komm mal kurz mit«, sagte Rasim auf einmal. »Ich hab da vielleicht was Interessantes entdeckt.«
Überrascht sah Jimmy ihn an. Von ihm hatte er am wenigsten Hilfe erwartet.
Einige Minuten später standen er und Rasim auf einem schmalen Streifen zwischen dem inneren Zaun und dem kleinen Häuschen. Nervös beobachtete Jimmy eine Gruppe von fünf Malachim außerhalb des Zauns, deren lidlose Augen wiederum jeder ihrer Bewegungen zu folgen schienen. Er fühlte sich wie eine Maus unter Katzen. Was hielt die Malachim nur in diesem seltsamen Lauerzustand?
»Und? Was sagst du?«, fragte Rasim, den die Nähe ihrer Feinde weniger zu bekümmern schien.
Jimmy wandte sich wieder dem eigentlichen Objekt ihres Interesses zu. Auf dem Grasstreifen vor ihnen befand sich ein Betonquader von gut einem Meter Kantenlänge. Darin wiederum befand sich ein Ring aus Metall, in dem ein leicht gerundeter, ebenfalls metallener Deckel
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