Elysion: Roman (German Edition)
konnte. Darum das Umspannwerk, das ihr oben gesehen habt.«
»Also stimmt etwas mit dem Reaktor nicht«, vermutete Cooper.
»Es begann vor einigen Tagen. Die Temperatur im Kern war viel zu hoch und ist seitdem immer weiter gestiegen. Ich habe versucht herauszufinden, woran es liegt, aber ich konnte die Ursache nicht finden. Die Tatsache, dass das Licht aus ist, sagt mir, dass ihn die Steuerungseinheit vom Netz genommen hat. Und das heißt wiederum, dass der Reaktor heruntergefahren wird.«
»Aber das ist doch gut, oder? Wenn er nicht mehr an ist, kühlt er sich ab.«
»Nun ja …« Ihr Vater machte ein gequältes Gesicht. »Es sei denn, er war vorher bereits zu heiß. Ab einem bestimmten Punkt ist die Erwärmung auch dann nicht mehr umkehrbar, wenn die Steuerstäbe eingesetzt werden.«
»Was bedeutet das, Vater?«
»Dass der Reaktor im schlimmsten Fall explodieren wird.«
»Und dann werden wir alle sterben, richtig?«, mischte sich Rasim ein.
»Nun, nicht sofort. Aber solange die Belüftungsanlage noch läuft, könnten sich radioaktive Spaltprodukte durch die gesamte Anlage verbreiten. Die Folge wäre eine lebensgefährliche Verstrahlung. Die andere Variante ist, dass die Belüftungsanlage ausfällt, bevor der Überdruck die Brennkammer explodieren lässt. Aber dann ersticken wir.«
»Dann sollten wir also von hier verschwinden«, schloss Jimmy.
»Und die Malachim?«, fragte Cooper.
»Na toll, alter Mann!«, fauchte Rasim. »Wir sitzen also die ganze Zeit über auf einem Pulverfass und du sagst uns das erst jetzt?«
»Es ist nicht seine Schuld, dass wir alle hier sind«, entgegnete Cooper wütend.
»Nimm den Kerl bloß noch in Schutz!«
Cooper wollte ihm eine scharfe Antwort geben, als Jimmy das Wort ergriff: »Wie viel Zeit bleibt uns noch, bis das eine oder das andere passiert?«
Coopers Vater öffnete den Mund zu einer Antwort, doch ein Hustenanfall schüttelte ihn. Er presste die Hand auf den Druckverband, den Cooper ihm mit Rasims Hilfe angelegt hatte. Es dauerte eine Weile, bis er wieder in der Lage war zu sprechen. Im grünen Notlicht sah sein Gesicht unnatürlich weiß aus. »Die Dieselgeneratoren sind auf zehn bis zwölf Stunden Notbetrieb ausgelegt, je nachdem, wie viele Verbraucher noch am Netz hängen. Wie es um den Reaktor steht, könnte ich nur in der Steuerzentrale überprüfen.«
»Tja, hört sich toll an. Worauf warten wir noch?«, sagte Jimmy.
Der Bote ließ seine Partikel durch die Stahltür gleiten. Der Reaktorvorraum hatte sich nicht verändert, seit er ihn verlassen hatte. Das Menschenmädchen, das er in seiner früheren Existenz besessen hatte, hockte noch immer am Boden. Ihr hin- und herpendelnder Kopf und ihre glasigen Augen verrieten ihm, dass ihr Geist nicht in dieser Welt weilte. Fasziniert blieb er eine Weile stehen und lauschte ihrem sinnlosen Geplapper. Dann glitt er durch die Wand zum Reaktorkern und ins Abklingbecken neben den Brennelementen. Er spürte, wie seine Ankunft die Hitze noch einmal anfachte, und genoss es, wie sich das Inferno anbahnte. Bald würden austretende Gase den Kern platzen lassen wie einen Dampfkessel. Der erste Akt seines Zerstörungswerks.
Er richtete sein Bewusstsein auf seine Armee an der Oberfläche.
»Wir sind bereit und warten auf deine Befehle, Bote«, hallten die Stimmen der Malachim in seinem Geist wider.
Der strahlende Krater, in den sich die Anlage bald verwandeln würde, würde ihr neues Hauptquartier sein, schrecklich und uneinnehmbar. Von dort aus würde er den ganzen Planeten für sein Volk erobern.
Eine fremde Präsenz unterbrach seine Gedanken. Irgendwer machte sich an der Steuerung des Reaktors zu schaffen, maß Temperaturen, analysierte Möglichkeiten, den Kern zu kühlen.
Vor Wut über diese Einmischung explodierten seine Partikel zu einer Wolke, fügten sich aber ebenso schnell wieder zusammen. Offensichtlich war es noch zu früh, sich zurückzulehnen. Erst musste er sich um die Störenfriede dort draußen kümmern.
1.988 °C
Die Zahl blinkte in bedrohlichem Dunkelrot auf dem Bildschirm.
Coopers Vater ächzte laut, ob nun vor Schmerzen oder wegen der Zahl. Sie hatte ihn auf einen Klapprollstuhl gesetzt. Zuerst hatte er protestiert, aber schließlich hatte er sich gefügt. Dann hatte sie ihn mit Jimmys und Rasims Hilfe hierher, in die Steuerungszentrale des Reaktors gebracht, die sich glücklicherweise im selben Stockwerk, wenn auch ganz am anderen Ende der Anlage befand. Die anderen Kinder waren im Krankenrevier
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