Elysion: Roman (German Edition)
darin, die Nanopartikel, aus denen diese Körper bestanden, zu »beseelen«. Dieses Wort hatte er benutzt, um seinen Vorgesetzten jenen geradezu irrwitzig komplexen Vorgang zu beschreiben, bei dem er die Nanopartikel zu einem intelligenten Schwarm zusammenfügte, quasi eine Einheit unter ihnen stiftete, die dem menschlichen Geist gleichkam oder – wie er insgeheim hoffte – diesem sogar überlegen war.
Und genau das war die Aufgabe der »Maschine«.
An jenem heißen Frühlingstag hatten er und ein halbes Dutzend Mitarbeiter nach etlichen Fehlschlägen das erste Mal das Wunder der Geburt einer dritten Art beobachten dürfen. Einer seiner Laboranten hatte ein gewisses Faible für das Horror-Genre gehabt, und da Wesen, denen man Respekt und Gehorsam entgegenbringen sollte, von einem furchterregenden Äußeren profitierten, hatte er sich auf dessen Designvorschlag eingelassen.
Ein Mensch – oder eher menschenähnliches Wesen – ohne Haut war seiner »Maschine« entstiegen, und ein anderer seiner Mitarbeiter hatte ihm anschließend zugeprostet mit den Worten: »Zum Wohl, Allmächtiger.« Er hatte sich eher wie ein Geburtshelfer gefühlt.
An diesem Tag aber stand er allein vor der Maschine. Nachdem er sie bereits jahrelang benutzte, fiel es ihm nicht mehr schwer, sie auch allein in Gang zu setzen. Es war wie einen Toaster zu bedienen, auch wenn ihr Gebrauch nicht immer zum gewünschten Ergebnis führte. Bis vor Kurzem hatte er sich nicht mehr als einen Schöpfungsprozess pro Monat erlaubt, um die empfindliche Apparatur nicht über Gebühr zu beanspruchen. Seit ihm aber die ersten Gerüchte über getötete Malachim zu Ohren gekommen waren, hatte er die Frequenz vorsichtig gesteigert. Er hatte immer gewusst, dass seine Wesen nicht so unbesiegbar waren, wie die Leute im Elysion glaubten. Allerdings hatte er gehofft, dass es etwas länger dauern würde, bis irgendwer ihre Achillesferse entdecken würde. Wenn er den Gerüchten glauben durfte, war es simple elektrische Spannung. Geradezu enttäuschend trivial.
Einerseits hatte es ihn in den Fingern gejuckt, den Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte experimentell zu überprüfen. Aber dann hatte er es doch nicht übers Herz gebracht, eine seiner Kreaturen dafür zu opfern. Seit gestern nun gab es mindestens einen Kandidaten, den er liebend gern zum Versuchskaninchen gemacht hätte, aber ausgerechnet der unterlag augenscheinlich nicht mehr seiner Befehlsgewalt.
Er spürte, dass er zitterte. Es war nicht kalt hier unten. Das Raumthermometer seiner Steuerungszentrale zeigte exakt 21,7 Grad Celsius. Er überlegte, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte. Offensichtlich zu lang her, als dass er sich erinnern konnte. Nun, das Lager des Labors war immer noch voll mit militärischen Notrationen, ebenso unverderblich wie nahrhaft und langweilig. Aber er war in dieser Hinsicht eher anspruchslos. Er würde sich ein Nahrungspaket holen. Später.
Vielleicht aber hatte das Zittern noch andere Gründe. Er musste zugeben, dass die Abspaltung eines Malach vom Kollektiv, die Ereignisse im Tempel und der Zusammenstoß mit David Tenson ihn innerlich ziemlich aus dem Gleichgewicht gebracht hatten. Es war, als ob all das, was er über Jahre mühevoll aufgebaut hatte, unter seinen Händen zu zerbröseln drohte. Dabei war er noch lange nicht am Ziel, der Errichtung einer von ihm geleiteten und von den Malachim kontrollierten guten Diktatur. Einer Welt, in der die Menschen frei von Angst vor Krieg und Verbrechen leben konnten. Einer Welt ohne Konsumterror, ohne blinden Fortschrittsglauben, ohne Reizüberflutung und all jenen Flüchen der untergegangenen Industriezivilisation.
Allzu lange war er selber ein Jünger des Technologie- und Fortschrittsglaubens gewesen, aber der Bürgerkrieg und sein persönlicher Verlust hatte ihm gezeigt, wohin dieser Weg die Gesellschaft geführt hatte. Also hatte er beschlossen, die Weichen umzustellen. Doch ihm war von Anfang an klar gewesen, dass die Menschen von ihren Götzen nicht freiwillig ablassen würden. Also hatte er sein ganzes Wissen darauf konzentriert, ein Instrument zu finden, mit dessen Hilfe er der Menschheit ihren Irrweg für immer versperren konnte.
Die Malachim. Nachdem ihm die Schöpfung eines ersten Individuums geglückt war, hatte er die »Maschine« perfektioniert. Denn die arbeitete bei Weitem nicht immer zuverlässig. Im Gegenteil. Die Geburt eines neuen Malach unterlag statistisch betrachtet dem Zufall. Viele Versuche endeten in einem
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