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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Feind
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drän­gen­de
Sehn­sucht, wie­der zu Hau­se zu sein, bis sie schließ­lich zu der Über­zeu­gung
ge­lang­te, daß all ih­re Schwie­rig­kei­ten da­her kämen. Es war bloß Heim­weh, und um
es zu über­win­den, muß­te sie nur wie­der dort­hin zu­rück­keh­ren und al­les
wie­der­se­hen. Sie be­schloß, ih­re Hei­mat für ein paar Ta­ge zu be­su­chen, und ihr
Ver­lob­ter be­glei­te­te sie.
    Sie
ka­men am Abend an. An­net­te war sehr auf­ge­regt. So­bald sie ih­re Sa­chen im Ho­tel
aus­ge­packt hat­te, mach­te sie sich von ih­rem Ver­lob­ten frei und ging al­lein los.
Sie stand vor dem Haus, das ihr Zu­hau­se ge­we­sen war. Sie lief in den Gar­ten.
Ih­re Auf­re­gung wur­de grö­ßer. Der Mond schi­en, und die Dä­cher glänz­ten. Ein Duft
von Früh­ling lag in der Luft, und sie hat­te das Ge­fühl, daß et­was vor ihr lag,
ein An­fang – es stieg schon am Ho­ri­zont auf, kam her­über, woll­te er­in­nert
wer­den, woll­te einen Na­men.
    Sie
ging durch die Wie­sen. Das Gras war schwer von Tau. Die Kirsch­bäu­me schim­mer­ten
wie fri­scher Schnee. Und da war es ganz plötz­lich: ei­ne Stim­me, ei­ne ent­rück­te,
ver­ges­se­ne, ver­sun­ke­ne Stim­me, ein ent­rück­tes, ver­ges­se­nes, ver­sun­ke­nes
Ge­sicht; im In­ne­ren riß et­was auf, et­was Atem­lo­ses, et­was un­end­lich Fer­nes,
un­vor­stell­bar Mü­des, Schwe­res, Trau­ri­ges – sie hat­te schon nicht mehr dar­an
ge­dacht; jetzt er­hob es sich und war mäch­ti­ger, als es je im Le­ben ge­we­sen war;
ganz plötz­lich sehr ge­liebt, ver­lo­ren und doch nie ihr ei­gen – Ger­hard Jä­ger.
Sie kam ins Ho­tel zu­rück, schwan­kend, be­nom­men. Sie schau­te ih­ren Ver­lob­ten an
– wie fremd er ihr war! Sie hät­te ihn has­sen kön­nen, wie er da so vor ihr
stand, le­ben­dig und ge­sund. Nur mit Mü­he konn­te sie ihm die we­ni­gen not­wen­di­gen
Wor­te sa­gen. Er woll­te mit ihr re­den; er be­dräng­te sie, es noch­mals zu
über­den­ken; er ver­sprach ihr zu war­ten. Sie nick­te nur zu all dem und woll­te
al­lein sein.
    Die
we­ni­gen Ta­ge, die sie mit Ger­hard er­lebt hat­te, wur­den jetzt zur Qual und zum
Ge­heim­nis für An­net­te. Sie hol­te sei­ne Brie­fe her­vor und las sie, bis ihr die
Au­gen blind vor Trä­nen wa­ren. Sie such­te ei­ni­ge sei­ner Ka­me­ra­den auf und war
un­er­müd­lich, sie nach dem zu fra­gen, was sie von ihm wuß­ten. Ei­ner hat­te viel
mit ihm ge­re­det und so­gar noch an dem Tag mit ihm ge­spro­chen, an dem er fiel.
Zum ers­ten Mal hör­te An­net­te jetzt, was der Krieg ei­gent­lich ge­we­sen war; zum
ers­ten Mal er­kann­te sie, wo­von Ger­hard in der Nacht vor sei­ner Ab­fahrt
ge­spro­chen hat­te; zum ers­ten Mal be­griff sie, was er sich von ihr er­sehnt hat­te
– einen Ru­he­platz, einen Ha­fen, ein klei­nes Feu­er der Lie­be in­mit­ten von so
viel Haß; einen Fun­ken Mensch­lich­keit in­mit­ten der Ver­nich­tung; Wär­me,
Ver­trau­en, einen Grund, auf dem er ste­hen konn­te; die Er­de, ei­ne Hei­mat, ei­ne
Brücke, über die er zu­rück­kom­men konn­te.
    Sie
wur­de von Reue be­fal­len, und von Lie­be. Sie, für die das al­les nur ei­ne klei­ne
Ei­tel­keit ge­we­sen war, ei­ne leicht­fer­ti­ge Nei­gung zum Un­ge­wöhn­li­chen, ei­ne
klei­ne Freund­schaft und ein biß­chen mäd­chen­haf­ter Ge­nuß; sie, die so schnell
ver­ges­sen hat­te, die sich kaum noch er­in­ner­te, be­gann jetzt plötz­lich zu lie­ben
– einen Schat­ten zu lie­ben.
    Sie
zog sich von al­lem zu­rück. Ih­re Be­kann­ten ver­such­ten, sich mit ihr
aus­ein­an­der­zu­set­zen, ihr da­bei zu hel­fen, wie­der zu sich selbst zu fin­den. Aber
es nütz­te al­les nichts. Hät­te sie mit ei­nem mensch­li­chen We­sen ge­lebt, wä­re es
viel­leicht mög­lich ge­we­sen, sie da­von zu be­frei­en; aber sie leb­te mit ei­ner
Er­in­ne­rung.
    Sie
wur­de im­mer merk­wür­di­ger. Oft, wenn sie al­lein in ih­rem Zim­mer war, re­de­te sie
laut mit sich selbst. Schon bald hat­te sie ih­re Stel­le ver­lo­ren. Spä­ter trat
sie ei­ner klei­nen Sek­te bei, die spi­ri­tis­ti­sche Sit­zun­gen ab­hielt. Ein­mal
mein­te sie, Ger­hard auf sich zu­kom­men zu se­hen. So ver­gin­gen die Jah­re … Ei­nes
Ta­ges war sie nicht

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