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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Feind
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fest­hal­ten, das ihm zu ent­glei­ten droh­te – er sprach von
Ju­gend, von Ziel, vom Le­ben. Die gan­ze Zeit re­de­te er nur von ihr – und doch
schi­en es ihr oft, als mein­te er gar nicht sie.
    Am
nächs­ten Abend fuhr er an die Front zu­rück. Aber den gan­zen Tag über ver­such­te
er, al­lein mit An­net­te zu sein. Er war wie im Fie­ber. Er woll­te sonst nie­man­den
se­hen, nur mit ihr über die Plät­ze und durch die Gär­ten schlen­dern und mit ihr
in den Wie­sen am Fluß sein, bis es Zeit für ihn wä­re zu fah­ren. Ihr er­schi­en er
merk­wür­dig, und sie hat­te fast ein biß­chen Angst vor ihm. Als er Ab­schied nahm,
um­arm­te er sie fest und sprach schnell, stam­melnd vor Hast, als wä­re noch
vie­les un­ge­sagt, un­ge­tan. Dann sprang er auf den Zug, der schon fuhr. Vier
Wo­chen spä­ter fiel er, und An­net­te war Wit­we mit sieb­zehn.
    Der
Krieg
ging wei­ter, und die Jah­re wur­den im­mer blu­ti­ger, bis es schließ­lich kaum noch
ein Haus in der klei­nen Stadt gab, wo man nicht Trau­er trug, und An­net­tes
Schick­sal, von dem an­fangs oft ge­re­det wur­de, ver­blaß­te vor den här­te­ren
Prü­fun­gen je­ner Fa­mi­lie, wo Vä­ter und Söh­ne ge­fal­len wa­ren. Und sie selbst
spür­te es all­mäh­lich nicht mehr. Sie war zu jung, und die we­ni­gen Ta­ge, die sie
zu­sam­men ver­bracht hat­ten, reich­ten für sie nicht aus, Ger­hard als ih­ren
Ehe­mann an­zu­se­hen. Für sie war er nur ein Freund ih­rer Ju­gend, der ge­fal­len war
– wie so vie­le an­de­re.
    Doch
es fiel
auf, daß jetzt ei­ne ge­wis­se Zu­rück­ge­zo­gen­heit in ihr Le­ben ein­kehr­te. Mit ih­ren
Freun­din­nen von frü­her ver­band sie ei­gent­lich nichts mehr – da­zu war sie nicht
mehr mäd­chen­haft ge­nug. Und an­de­rer­seits fand sie, daß sie ge­nau­so­we­nig zu den
Er­wach­se­nen ge­hör­te – da­zu war sie noch zu mäd­chen­haft. Und so kam es, daß sie
kaum wuß­te, wie sie sich ver­hal­ten soll­te. Zu viel war pas­siert und zu schnell
ver­gan­gen. Aber die Er­eig­nis­se der letz­ten Kriegs­jah­re lie­ßen ihr kei­ne Zeit zum
Nach­den­ken. Sie ar­bei­te­te von mor­gens bis abends als frei­wil­li­ge Hilfs­schwes­ter
in ei­nem Kran­ken­haus. Der Mal­strom der Zei­ten brach her­ein und ver­schlang je­den
ein­zel­nen.
    Dann
kam der Waf­fen­still­stand, die Re­vo­lu­ti­on, die Zeit der Put­sche, der Alp­traum der
In­fla­ti­on – und schließ­lich, als al­les vor­über war und An­net­te zu sich kam,
ent­deck­te sie fast er­staunt, daß sie ei­ne Frau von fünf­und­zwan­zig ge­wor­den war,
oh­ne daß der Reich­tum ih­res Le­bens sich um ir­gend et­was ver­mehrt hat­te. Denn an
Ger­hard dach­te sie jetzt kaum noch.
    Bald
da­nach star­ben ih­re El­tern. Ihr Ver­mö­gen war der­art ge­schrumpft, daß An­net­te
dank­bar sein muß­te, ei­ne Stel­le als Kran­ken­schwes­ter in ei­ner nord­deut­schen
Stadt zu be­kom­men. Ein paar Mo­na­te spä­ter lern­te sie einen Mann ken­nen, der ihr
den Hof mach­te und sie hei­ra­ten woll­te. Sie zö­ger­te erst, aber mit der Zeit
moch­te sie ihn, und der Tag für die Hoch­zeit wur­de fest­ge­setzt. Jetzt hät­te sie
wirk­lich glück­lich sein sol­len, und doch wur­de sie ru­he­los. Ir­gend et­was in
ihr, sie wuß­te nicht, was, schreck­te da­vor zu­rück. Sie er­tapp­te sich da­bei, in
Ge­dan­ken ver­lo­ren zu sein; sie hör­te geis­tes­ab­we­send zu, wenn je­mand mit ihr
sprach. Ih­re Ge­dan­ken wur­den ne­bel­haft und ver­zo­gen sich in die Ent­rückt­heit
ei­ner trü­ben, düs­te­ren Me­lan­cho­lie. Nachts wach­te sie grund­los wei­nend auf.
Dann wie­der ver­such­te sie, durch un­ge­stü­me Zärt­lich­keit, durch ei­ne
lei­den­schaft­li­che Sehn­sucht nach Zu­nei­gung die merk­wür­di­ge Bar­rie­re zu
über­win­den, die all­mäh­lich vor ihr er­stand. Manch­mal, wenn sie in ih­rem Zim­mer
al­lein war und aus dem Fens­ter auf die nack­ten grau­en Häu­ser ge­gen­über schau­te,
schi­en es ihr, als lös­ten die Wän­de sich in einen durch­sich­ti­gen Dunst auf, und
da­hin­ter öff­ne­ten sich Tü­ren, und da wa­ren Gas­sen und Gie­bel­dä­cher,
Som­mer­wie­sen und hei­ße, ver­las­se­ne Gär­ten – und dann über­kam sie ei­ne

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