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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Funke Leben
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Ver­hau, sehr
klein und blaß und töd­lich vor dem Son­nen­un­ter­gang, und es war nichts mehr da
als ein ver­kohl­ter Rest mit ei­nem her­ab­hän­gen­den klei­nen Fuß auf dem un­ters­ten
Draht und ei­nem Fet­zen Flü­gel, der den Bo­den ge­streift und den Tod her­an­ge­weht
hat­te.
    »Das war die Dros­sel, Jo­sef ...«
    Bu­cher sah das Ent­set­zen in Ruth Hol­lands Au­gen. »Nein, Ruth«, sag­te er rasch.
»Das war ein an­de­rer Vo­gel. Es war kei­ne Dros­sel. Und wenn es ei­ne war, dann
war es nicht die, die ge­sun­gen hat – be­stimmt nicht, Ruth –, nicht un­se­re.«
    »Du meinst wohl, ich hät­te dich ver­ges­sen, was?« frag­te Hand­ke.
    »Nein.«
    »Es war zu spät ges­tern. Aber wir ha­ben ja Zeit. Zeit ge­nug, dich zu mel­den.
Mor­gen zum Bei­spiel, den gan­zen Tag.« Er stand vor 509. »Du Mil­lio­när! Du
Schwei­zer Mil­lio­när! Sie wer­den dir dein Geld schon Fran­ken für Fran­ken aus den
Nie­ren prü­geln.«
    »Das Geld braucht mir kei­ner her­aus­zu­prü­geln«, sag­te 509. »Es ist ein­fa­cher zu
ha­ben. Ich un­ter­schrei­be einen Zet­tel, und es ge­hört mir nicht mehr.« Er sah
Hand­ke fest an. »Zwei­tau­send­fünf­hun­dert Fran­ken. Viel Geld.«
    »Fünf­tau­send«, er­wi­der­te Hand­ke. »Für die Ge­sta­po. Glaubst du, die teilt?«
    »Nein. Fünf­tau­send für die Ge­sta­po«, be­stä­tig­te 509.
    »Und den Prü­gel­bock und das Kreuz und den Bun­ker und Breu­er mit sei­nen Me­tho­den
für dich und dann den Gal­gen.«
    »Das weiß man noch nicht.«
    Hand­ke lach­te. »Was sonst? Viel­leicht ein An­er­ken­nungs­schrei­ben? Für ver­bo­te­nes
Geld?«
    »Das auch nicht.« 509 sah Hand­ke im­mer noch an. Er war über­rascht dar­über, daß
er nicht mehr Angst hat­te, ob­schon er wuß­te, daß Hand­ke ihn in der Hand hat­te;
aber stär­ker als al­les spür­te er plötz­lich et­was an­de­res: Haß. Nicht den
trü­ben, blin­den, klei­nen des La­gers, den all­täg­li­chen Gro­schen­haß der Not ei­ner
ver­hun­gern­den Krea­tur ge­gen ei­ne an­de­re, ir­gend­ei­nes Vor­teils oder Nach­teils
we­gen – nein, er spür­te einen kal­ten, kla­ren in­tel­li­gen­ten Haß, und er spür­te
ihn so sehr, daß er die Au­gen nie­der­schlug, weil er glaub­te, Hand­ke müs­se ihn
er­ken­nen.
    »So? Was dann viel­leicht, du wei­ser Af­fe?«
    509 roch den Atem Hand­kes. Auch das war neu; der Ge­stank des Klei­nen La­gers
hat­te frü­her fast kei­nen in­di­vi­du­el­len Ge­ruch zu­ge­las­sen. 509 wuß­te auch, daß
er Hand­ke nicht roch, weil sein Ge­ruch stär­ker war als der Ver­we­sungs­ge­stank
rings­um; er roch ihn, weil er Hand­ke haß­te.
    »Bist du stumm ge­wor­den vor Angst?«
    Hand­ke stieß 509 ge­gen das Schien­bein. 509 zuck­te nicht zu­rück. »Ich glau­be nicht,
daß ich ge­fol­tert wer­de«, sag­te er ru­hig und sah Hand­ke wie­der an. »Es wür­de
nicht zweck­mä­ßig sein. Ich könn­te der SS un­ter den Hän­den wegster­ben. Ich bin
sehr schwach und hal­te fast nichts mehr aus. Das ist ein Vor­teil im Au­gen­blick.
Die Ge­sta­po wird lie­ber mit all­dem war­ten, bis das Geld in ih­ren Hän­den ist.
So­lan­ge braucht sie mich. Ich bin näm­lich der ein­zi­ge, der dar­über ver­fü­gen
kann. In der Schweiz hat die Ge­sta­po kei­ne Macht. Bis sie das Geld hat, bin ich
si­cher. Und das dau­ert ei­ne ziem­li­che Zeit. Bis da­hin kann vie­les pas­sie­ren.«
    Hand­ke dach­te nach. 509 sah im Halb­dun­kel, wie es in sei­nem fla­chen Ge­sicht
ar­bei­te­te.
    Er sah das Ge­sicht ge­nau. Ihm war, als sei­en hin­ter sei­nen Au­gen Schein­wer­fer
an­ge­bracht, die es be­strahl­ten. Das Ge­sicht selbst blieb gleich; aber je­de
Ein­zel­heit dar­in schi­en grö­ßer zu wer­den.
    »So, das hast du dir al­les aus­ge­dacht, was?« stieß der Blockäl­tes­te schließ­lich
her­vor.
    »Ich ha­be mir nichts aus­ge­dacht. Es ist so.«
    »Und was ist mit We­ber? Der woll­te dich ja auch spre­chen! Der wird nicht
war­ten.«
    »Doch«, er­wi­der­te 509 ru­hig. »Herr Sturm­füh­rer We­ber wird war­ten müs­sen. Die
Ge­sta­po wird da­für sor­gen. Es ist wich­ti­ger für sie, Schwei­zer Fran­ken zu
be­kom­men.«
    Die her­vor­ste­hen­den, blaß­blau­en Au­gen Hand­kes schie­nen sich zu dre­hen. Der

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