E.M. Remarque
dir nur das größere Stück dafür geben. Das ist die Sache
wert.«
Sie tauschten, und Berger ging in den Keller zurück.
Steinbrenner und Weber waren fort. Nur Schulte und Dreyer waren noch da. An den
vier Haken an der Wand hingen vier Leute. Einer von ihnen war Mosse. Er war
aufgehängt worden mit seiner Brille. Brede und der letzte der sechs lagen
bereits am Boden.
»Mach den dort los«, sagte Schulte gleichmütig. »Er hat vorne eine Goldkröne.«
Berger versuchte, den Mann anzuheben. Er konnte es nicht.
Erst als Dreyer ihm half, gelang es. Der Mann fiel wie eine Puppe, die mit
Sägemehl ausgefüllt war, zu Boden. »Ist er das?« fragte Schulte.
»Jawohl.«
Der Tote hatte einen goldenen Eckzahn. Berger zog ihn aus und legte ihn in den
Kasten. Dreyer machte eine Notiz.
»Hat noch einer von den anderen was?« fragte Schulte.
Berger untersuchte die beiden Toten am Boden. Der Kapo leuchtete mit der Taschenlampe.
»Diese haben nichts. Zement und Silberamalgamfüllungen bei einem.«
»Das können wir nicht brauchen. Wie ist es bei denen, die noch hängen?«
Berger versuchte vergeblich, Mosse hochzuheben. »Laß das«, erklärte Schulte
ungeduldig. »Man kann es besser sehen, wenn sie hängen.«
Berger drückte die geschwollene Zunge in dem weit offenen Mund beiseite. Das
eine gequollene Auge hinter dem Brillenglas war dicht vor ihm. Es erschien
durch die starke Linse noch größer und verzerrt. Das Lid über der anderen,
leeren Augenhöhle stand halb offen. Flüssigkeit war herausgesickert.
Die Backe war feucht davon. Der Kapo stand seitlich neben Berger, Schulte
direkt hinter ihm.
Berger fühlte Schuhes Atem in seinem Nacken. Er roch nach Pfefferminztabletten.
»Nichts«, sagte Schulte. »Der nächste.«
Der nächste war leichter zu kontrollieren; er hatte keine Vorderzähne. Sie
waren ausgeschlagen. Zwei Silberamalgamplomben, wertlos, im rechten Kiefer. Der
Atem Schuhes war wieder in Bergers Nacken. Der Atem eines eifrigen Nazis, der
unschuldig seine Pflicht tat, hingegeben daran, Goldplomben zu finden,
gleichmütig gegen die Anklage eines soeben erst gemordeten Mundes. Berger
glaubte plötzlich, es kaum mehr aushallen zu können, diesen stoßenden
Knabenatem zu fühlen. Als suche er Vogeleier in einem Nest, dachte er.
»Schön, nichts«, sagte Schulte enttäuscht. Er nahm eine der Listen und den
Kasten mit Gold und zeigte auf die sechs Toten.
»Lassen Sie die hier 'raufschaffen und den Raum tadellos schrubben.«
Aufrecht und jung ging er hinaus. Berger begann Brede auszuziehen. Es war
einfach.
Er konnte es allein. Diese Toten waren noch weich. Brede trug ein Netzhemd und
eine Zivilhose zu der Lederjacke. Dreyer zündete sich eine Zigarette an. Er
wußte, daß Schulte nicht mehr zurückkam.
»Er hat die Brille vergessen«, sagte Berger.
»Was?«
Berger zeigte auf Mosse. Dreyer trat heran. Berger nahm die Brille von dem
toten Gesicht. Steinbrenner hatte es für einen Witz gehalten, Mosse mit der
Brille aufzuhängen.
»Die eine Linse ist noch heil«, sagte der Kapo. »Aber wozu ist eine einzelne
Linse schon zu brauchen? Höchstens als Brennglas für Kinder.«
»Der Brillenrahmen ist gut.«
Dreyer beugte sich weiter vor. »Nickel«, sagte er verächtlich. »Billiges
Nickel.«
»Nein«, sagte Berger. »Weißes Gold.«
»Was?«
»Weißes Gold.«
Der Kapo nahm die Brille. »Weißes Gold? Ist das sicher?«
»Absolut. Der Rahmen ist schmutzig. Wenn man ihn mit Seife wäscht, werden Sie
es selbst sehen.«
Dreyer wog Mosses Brille auf der flachen Hand. »Das hat dann seinen Wert.«
»Ja.«
»Wir müssen es aufschreiben.«
»Die Listen sind fort«, sagte Berger und sah den Kapo an. »Scharführer Schulte
hat sie mitgenommen.«
»Das macht
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