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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Funke Leben
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vorn­über ge­beugt, der La­tri­ne zu. 509 blieb noch ei­ne
Zeit­lang sit­zen.
    Er lehn­te den Rücken fest ge­gen die Ba­ra­cken­wand. Mit der rech­ten Hand preß­te
er den Re­vol­ver ge­gen sei­nen Kör­per. Er wi­der­stand der Ver­su­chung, ihn
her­aus­zu­neh­men, den Lap­pen auf­zu­wi­ckeln und das Me­tall an­zu­fas­sen; er hielt ihn
nur fest. Er fühl­te die Li­ni­en des Lau­fes und des Hand­grif­fes, und er fühl­te
sie, als gin­ge von ih­nen ei­ne schwe­re, dunkle Kraft aus. Es war das ers­te­mal in
vie­len Jah­ren, daß er et­was an sich ge­preßt hielt, mit dem er sich ver­tei­di­gen
konn­te. Er war plötz­lich nicht mehr völ­lig hilf­los. Er war nicht mehr voll­kom­men
aus­ge­lie­fert. Er wuß­te, daß es ei­ne Il­lu­si­on war und daß er die Waf­fe nicht
ge­brau­chen durf­te; aber es ge­nüg­te, daß er sie bei sich hat­te. Es ge­nüg­te, um
et­was in ihm zu ver­än­dern. Das schma­le Werk­zeug des To­des war wie ein Dy­na­mo
des Le­bens. Es ström­te Wi­der­stand in ihn über. Er dach­te an Hand­ke. Er dach­te
an den Haß, den er ge­gen ihn ge­spürt hat­te. Hand­ke hat­te das Geld be­kom­men;
aber er war schwä­cher ge­we­sen als 509. Er dach­te an Ro­sen; er hat­te ihn ret­ten
kön­nen. Dann dach­te er an We­ber.
    Er dach­te lan­ge an ihn und an die ers­te Zeit im La­ger. Er hat­te das seit Jah­ren
nicht ge­tan. Er hat­te al­le Er­in­ne­run­gen in sich ver­bannt; auch die an die Zeit
vor dem La­ger. So­gar sei­nen Na­men hat­te er nicht mehr hö­ren wol­len. Er war kein
Mensch mehr ge­we­sen, und er hat­te es nicht mehr sein wol­len; es hät­te ihn
zer­bro­chen. Er war ei­ne Num­mer ge­wor­den und hat­te sich nur noch als Num­mer
ge­nannt und nen­nen las­sen. Schwei­gend saß er in der Nacht und at­me­te und hielt
die Waf­fe fest und fühl­te, wie vie­les sich in den letz­ten Wo­chen ver­än­dert
hat­te.
    Die Er­in­ne­run­gen ka­men plötz­lich wie­der, und ihm war, als äße und trän­ke er
gleich­zei­tig et­was, das er nicht se­hen konn­te und das wie ei­ne star­ke Me­di­zin
war.
    Er hör­te, wie die Wa­chen ab­ge­löst wur­den. Vor­sich­tig stand er auf. Er tau­mel­te
ei­ni­ge Se­kun­den, als ha­be er Wein ge­trun­ken. Dann ging er lang­sam um die
Ba­ra­cke her­um.
    Ne­ben der Tür hock­te je­mand. »509!« flüs­ter­te er. Es war Ro­sen. 509 schrak auf,
als er­wa­che er aus ei­nem end­lo­sen, schwe­ren Traum. Er blick­te hin­un­ter.
    »Ich hei­ße Kol­ler«, sag­te er ab­we­send. »Fried­rich Kol­ler.«
    »Ja?« er­wi­der­te Ro­sen ver­ständ­nis­los.

XIV
    I ch will einen
Pries­ter«, jam­mer­te Am­mers.
    Er jam­mer­te es schon den gan­zen Nach­mit­tag. Sie hat­ten ver­sucht, es ihm
aus­zu­re­den, aber es hat­te kei­nen Zweck ge­habt.
    Es war plötz­lich über ihn ge­kom­men.
    »Was für einen Pries­ter?« frag­te Le­ben­thal.
    »Einen ka­tho­li­schen. Wo­zu fragst du das, du Ju­de?«
    »Sieh da!« Le­ben­thal schüt­tel­te den Kopf. »Ein An­ti­se­mit! Das hat uns hier
ge­ra­de noch ge­fehlt.«
    »Es gibt ge­nug im La­ger«, sag­te 509.
    »Ihr habt schuld!« ze­ter­te Am­mers. »An al­lem! Oh­ne euch Ju­den wä­ren wir nicht
hier.«
    »Was? Warum denn das nicht?«
    »Weil es dann kei­ne La­ger gä­be. Ich will einen Pries­ter!«
    »Schäm dich, Am­mers«, sag­te Bu­cher auf­ge­bracht.
    »Ich brau­che mich nicht zu schä­men. Ich bin krank! Holt einen Pries­ter.« 509
sah auf die blau­en Lip­pen und die ein­ge­sun­ke­nen Au­gen.
    »Es gibt kei­nen Pries­ter im La­ger, Am­mers.«
    »Sie müs­sen einen ha­ben. Es ist mein Recht. Ich st­er­be.«
    »Ich glau­be nicht, daß du stirbst«, er­klär­te Le­ben­thal.
    »Ich st­er­be, weil ihr ver­damm­ten Ju­den al­les auf­ge­fres­sen habt, was mir zu­kam.
Und jetzt wollt ihr mir nicht ein­mal einen Pries­ter ho­len. Ich will beich­ten.
Was wißt ihr da­von? Wo­zu muß ich in ei­ner Ju­den­ba­ra­cke sein? Ich ha­be ein Recht
auf ei­ne Arier­ba­ra­cke.«
    »Hier nicht mehr. Nur im Ar­beits­la­ger. Hier sind al­le gleich.«
    Am­mers keuch­te und dreh­te den Kopf weg. Über sei­nem fil­zi­gen Haar stand an der
Holzwand ei­ne In­schrift mit Blau­stift: »Eu­gen Mayer 1941 Ty­phus. Rächt ...«
    »Wie ist es mit ihm?«

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