E.M. Remarque
Mund
kaute. »Du bist mächtig schlau geworden«, sagte er schließlich. »Früher
konntest du kaum scheißen! Ihr seid hier alle in der letzten Zeit munter wie
die Böcke geworden, ihr Stinker! Wird euch schon versalzen werden, wartet nur!
Euch jagen sie alle noch durch den Schornstein!« Er tippte 509 mit einem Finger
vor die Brust.
»Wo sind die zwanzig Eier?« fauchte er dann. 509 zog den Schein aus der Tasche.
Er hatte eine Sekunde den Wunsch gespürt, es nicht zu tun, aber sofort gewußt,
daß das Selbstmord gewesen wäre. Handke riß ihm das Geld aus der Hand. »Einen
Tag lang kannst du weiterscheißen dafür«, erklärte er und pumpte sich auf.
»Einen Tag lasse ich dich dafür länger leben, du Wurm! Einen Tag, bis morgen.«
»Einen Tag«, sagte 509.
Lewinsky überlegte. »Ich glaube nicht, daß er es tun wird«, sagte er dann. »Was
kann er schon dabei für sich herausholen?«
509 hob die Schultern. »Nichts. Er ist nur unberechenbar, wenn er etwas zu
trinken erwischt hat. Oder wenn er seinen Koller hat.«
»Man muß ihn aus dem Wege schaffen.« Lewinsky dachte wieder nach. »Im
Augenblick können wir nicht viel gegen ihn unternehmen. Es ist dicke Luft. Die
SS kämmt die Listen durch nach Namen. Wir lassen im Lazarett verschwinden, wen
wir können. Bald müssen wir euch auch ein paar Leute rüberschmuggeln. Das ist
doch in Ordnung, wie?«
»Ja. Wenn ihr das Essen für sie liefert.«
»Das ist selbstverständlich. Aber da ist noch etwas. Wir müssen jetzt mit
Razzien und Kontrollen bei uns rechnen. Könnt ihr ein paar Sachen verstecken,
so daß man sie nicht findet?«
»Wie groß?«
»So groß ...« Lewinsky sah sich um. Sie hockten hinter der Baracke im Dunkeln.
Nichts war zu sehen als die stolpernde Reihe der Muselmänner auf dem Weg zur
Latrine.
»So groß, wie zum Beispiel ein Revolver ...«
509 atmete scharf ein. »Ein Revolver?«
»Ja.«
509 schwieg einen Augenblick. »Unter meinem Bett ist ein Loch im Boden«, sagte
er dann leise und rasch. »Die Latten daneben sind lose. Man kann mehr als einen
Revolver da unterbringen. Leicht. Hier wird nicht kontrolliert.«
Er merkte nicht, daß er sprach wie jemand, der einen anderen überreden will;
nicht wie jemand, der zu einem Risiko überredet werden soll. »Hast du ihn bei
dir?« fragte er.
»Ja.«
»Gib ihn her.«
Lewinsky sah sich noch einmal um. »Du weißt, was das bedeutet?«
»Jaja«, erwiderte 509 ungeduldig.
»Es war schwer, ihn zu kriegen. Wir haben viel riskieren müssen.«
»Ja, Lewinsky. Ich passe schon auf. Gib ihn nur her.«
Lewinsky griff in seinen Kittel und schob die Waffe in die Hand von 509. 509
fühlte sie. Sie war schwerer, als er erwartet hatte. »Was ist das darum?«
fragte er.
»Ein Lappen mit etwas Fett. Ist das Loch unter deinem Bett trocken?«
»Ja«, sagte 509. Es stimmte nicht; aber er wollte die Waffe nicht zurückgeben.
»Ist Munition dabei?« fragte er.
»Ja. Nicht viel, ein paar Patronen. Er ist außerdem geladen.«
509 steckte den Revolver unter sein Hemd und knöpfte den Kittel darüber zu. Er
fühlte ihn in der Nähe seines Herzens und spürte einen raschen Schauder über
seine Haut laufen.
»Ich gehe jetzt«, sagte Lewinsky. »Paß scharf auf ihn auf. Versteck ihn
gleich.« Er sprach von der Waffe wie von einem wichtigen Menschen. »Das nächste
mal, wenn ich komme, kommt jemand von uns mit. Habt ihr tatsächlich Platz?« Er
blickte über den Appellplatz, auf dem im Dunkeln dunklere Gestalten lagen. »Wir
haben Platz«, erwiderte 509. »Für eure Leute haben wir immer Platz.«
»Gut. Wenn Handke wiederkommt, gib ihm noch etwas Geld. Habt ihr was?«
»Ich habe noch was. Für einen Tag.«
»Ich will sehen, daß wir etwas zusammenkriegen. Werde es Lebenthal geben. Ist
das in Ordnung?«
»Ja.«
Lewinsky verschwand im Schatten der nächsten Baracke. Von dort stolperte er,
wie ein Muselmann
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