E.M. Remarque
los. »Wenn du
schreist, müssen wir dir was in den Mund stecken«, sagte 509.
»Ihr versteht mich nicht ...«
»Doch. Du bleibst so, bis dein Koller vorbei ist. Wir haben schon genug Leute
so verloren ...«
Sie schoben ihn in eine Ecke und kümmerten sich nicht mehr um ihn. Rosen
richtete sich auf. »Er ist noch durcheinander«, murmelte er, als müsse er für
ihn um Entschuldigung bitten. »Ihr müßt das verstehen. Sein Bruder damals ...«
Ammers war heiser geworden. Er flüsterte nur noch. »Wo bleibt er? Wo – der
Priester ...«
Sie hatten allmählich alle genug. »Ist wirklich kein Priester oder Küster oder
Meßdiener in den Baracken?« fragte Bucher. »Irgendeiner, damit er Ruhe gibt.«
»Es waren vier in siebzehn. Einer ist entlassen worden; zwei sind tot; der
andere ist im Bunker«, sagte Lebenthal. »Breuer verprügelt ihn jeden Morgen mit
einer Kette. Er nennt das: die Messe mit ihm lesen.«
»Bitte ...« flüsterte Ammers weiter. »Um Christi willen – einen Priester.«
»Ich glaube, in B ist ein Mann, der Lateinisch kann«, sagte Ahasver. »Ich habe
mal davon gehört. Kann man den nicht nehmen?«
»Wie heißt er?«
»Ich weiß es nicht genau. Dellbrück oder Hellbrück oder so ähnlich. Der
Stubenälteste weiß das sicher.«
509 stand auf. »Das ist Mahner. Wir können ihn fragen.«
Er ging mit Berger hinüber. »Es kann Hellwig sein«, sagte Mahner. »Das ist
einer, der Sprachen spricht. Er ist etwas verrückt. Ab und zu deklamiert er. Er
ist in A.«
»Das wird er sein.«
Sie gingen zu Sektion A. Mahner sprach mit dem Stubenältesten dort, einem
großen, dünnen Mann mit einem Birnenkopf. Der Birnenkopf zuckte schließlich die
Achseln.
Mahner ging in das Labyrinth von Betten, Beinen, Armen und Stöhnen hinein und
rief den Namen aus.
Er kam nach einigen Minuten zurück. Ein mißtrauischer Mann folgte ihm. »Dies
ist er«, sagte Mahner zu 509. »Laßt uns 'rausgehen. Hier kann man ja kein Wort
verstehen.« 509 erklärte Hellwig die Situation. »Sprichst du Lateinisch?«
fragte er.
»Ja.« Hellwigs Gesicht zuckte nervös. »Wißt ihr, daß mir jetzt mein Eßnapf
gestohlen wird?«
»Wieso?«
»Hier wird gestohlen. Gestern ist mir mein Löffel weggekommen, während ich auf
der Latrine saß. Ich hatte ihn unter meinem Bett versteckt. Jetzt habe ich den
Eßnapf drinnen gelassen.«
»Dann hole ihn.«
Hellwig verschwand ohne ein Wort. »Der kommt nicht wieder«, sagte Mahner.
Sie warteten. Es wurde dunkler. Schatten krochen aus Schatten; Dunkelheit aus
der Dunkelheit der Baracken. Dann kam Hellwig zurück. Er hielt den Eßnapf an
die Brust gepreßt.
»Ich weiß nicht, wieviel Ammers versteht«, sagte 509. »Sicher nicht mehr als
ego te absolvo. Das mag er behalten haben. Wenn du ihm das sagst und noch
irgend etwas, was dir einfällt...«
Hellwig knickte mit seinen langen dünnen Beinen beim Gehen ein. »Virgil?«
fragte er. »Horaz?«
»Gibt es nicht etwas Kirchliches?«
»Credo in unum deum ...«
»Sehr gut.«
»Oder Credo quia absurdum ...« 509 blickte auf. Er sah in zwei sonderbar rastlose
Augen.
»Das tun wir alle«, sagte er.
Hellwig blieb stehen. Er zeigte dabei mit dem knotigen Zeigefinger auf 509, als
wollte er ihn aufspießen. »Es ist eine Gotteslästerung, das weißt du. Aber ich
will es tun. Er braucht mich nicht. Es gibt eine Reue und Sündenvergebung ohne
Beichte.«
»Vielleicht kann er nicht bereuen, ohne daß einer dabei ist.«
»Ich tue es nur, um ihm zu helfen. Inzwischen stehlen sie meine Portion Suppe.«
»Mahner wird deine Suppe für dich halten. Aber gib mir deinen Eßnapf«, sagte
509. »Ich bewahre ihn für dich, während du drin bist.«
»Warum?«
»Er glaubt dir vielleicht eher, wenn du keinen Eßnapf bei dir hast.«
»Gut.«
Sie traten in die Tür. Die Baracke war auch vorn jetzt schon fast dunkel. Man
hörte Ammers
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