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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Funke Leben
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noch schwe­rer für ihn ma­chen. Er sah, wie ei­ne Flie­ge sich
auf das schie­fer­far­be­ne Au­ge ei­nes der Au­to­ma­ten setz­te.
    Der Mann blink­te nicht mit den Li­dern. Viel­leicht war es doch ein Trost, dach­te
509.
    Viel­leicht war es so­gar der ein­zi­ge Trost für einen un­ter­ge­hen­den Mann.
    Ber­ger dreh­te sich um und schob sich durch den schma­len Gang zu­rück. Er muß­te
über die Leu­te stei­gen, die am Bo­den la­gen. Es sah aus, als wa­te ein Ma­ra­bu
durch einen Sumpf. 509 folg­te ihm. »Ber­ger!« flüs­ter­te er, als sie aus dem Gang
her­aus wa­ren.
    Ber­ger blieb ste­hen. 509 war plötz­lich atem­los. »Glaubst du es wirk­lich?«
    »Was?« 509 konn­te sich nicht ent­schlie­ßen, es zu wie­der­ho­len. Ihm war, als
flö­ge es dann weg. »Das, was du zu Loh­mann ge­sagt hast.«
    Ber­ger sah ihn an. »Nein«, sag­te er.
    »Nein?«
    »Nein. Ich glau­be es nicht.«
    »Aber ...« 509 lehn­te sich ge­gen das nächs­te Bret­ter­ge­stell. »Wo­zu hast du es
dann ge­sagt?«
    »Ich ha­be es für Loh­mann ge­sagt. Aber ich glau­be es nicht. Kei­ner wird ge­rächt
wer­den, kei­ner – kei­ner – kei­ner ...«
    »Und die Stadt? Die Stadt brennt doch!«
    »Die Stadt brennt. Vie­le Städ­te ha­ben schon ge­brannt. Das heißt nichts, nichts
...«
    »Doch! Es muß ...«
    »Nichts! Nichts!« flüs­ter­te Ber­ger hef­tig, mit ei­ner Ver­zweif­lung wie je­mand,
der sich ei­ne phan­tas­ti­sche Hoff­nung ge­macht und sie gleich wie­der be­gra­ben
hat. Der blei­che Schä­del pen­del­te, und das Was­ser lief aus den ro­ten
Au­gen­höh­len. »Ei­ne klei­ne Stadt brennt. Was hat das mit uns zu tun? Nichts!
Nichts wird sich än­dern. Nichts!«
    »Er­schie­ßen wer­den sie wel­che«, sag­te Ahas­ver vom Bo­den her.
    »Schnau­ze!« schrie die Stim­me von frü­her aus dem Dun­kel. »Hal­tet doch end­lich
ein­mal eu­re gott­ver­damm­ten Schnau­zen!«
    509 hock­te auf sei­nem Platz an der Wand. Über sei­nem Kopf be­fand sich ei­nes der
we­ni­gen Fens­ter der Ba­ra­cke. Es war schmal und hoch an­ge­bracht und hat­te um
die­se Zeit et­was Son­ne. Das Licht kam dann bis zur drit­ten Rei­he der
Bett­bret­ter; von dort an lag der Raum in stän­di­gem Dun­kel.
    Die Ba­ra­cke war erst vor ei­nem Jahr er­rich­tet wor­den. 509 hat­te sie auf­stel­len
hel­fen; er hat­te da­mals noch zum Ar­beits­la­ger ge­hört. Es war ei­ne al­te
Holz­ba­ra­cke aus ei­nem auf­ge­lös­ten Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger in Po­len. Vier da­von
wa­ren ei­nes Ta­ges aus­ein­an­der­ge­nom­men auf dem Bahn­hof der Stadt an­ge­kom­men, auf
Last­wa­gen zum La­ger ge­schafft und dort auf­ge­baut wor­den. Sie hat­ten nach
Wan­zen, Angst, Schmutz und Tod ge­stun­ken. Aus ih­nen war das Klei­ne La­ger
ent­stan­den. Der nächs­te Trans­port ar­beits­un­fä­hi­ger, ster­ben­der Häft­lin­ge aus
dem Os­ten war hin­ein­ge­pfercht und sich selbst über­las­sen wor­den. Es hat­te nur
ein paar Ta­ge ge­dau­ert, bis er hin­aus­ge­schau­felt wer­den konn­te. Man hat­te dann
wei­ter Kran­ke, Zu­sam­men­ge­bro­che­ne, Krüp­pel und Ar­beits­un­fä­hi­ge hin­ein­ge­steckt,
und es war zu ei­ner dau­ern­den Ein­rich­tung ge­wor­den. Die Son­ne warf ein
ver­scho­be­nes Vier­eck von Licht auf die Wand rechts vom Fens­ter. Ver­blaß­te
In­schrif­ten und Na­men wur­den dar­in sicht­bar. Es wa­ren In­schrif­ten und Na­men von
frü­he­ren In­sas­sen der Ba­ra­cke in Po­len und Ost­deutsch­land.
    Sie wa­ren mit Blei­stift auf das Holz ge­krit­zelt oder mit Draht­stücken und
Nä­geln hin­ein­ge­ritzt wor­den.
    509 kann­te ei­ne An­zahl da­von. Er wuß­te, daß die Spit­ze des Vier­ecks jetzt
ge­ra­de einen Na­men aus dem Dun­kel hob, der mit tie­fen Stri­chen ein­ge­rahmt war –
Chaim Wolf, 1941. Chaim Wolf hat­te ihn wahr­schein­lich hin­ein­ge­schrie­ben, als er
wuß­te, daß er ster­ben muß­te, und die Stri­che dar­um ge­zo­gen, da­mit nie­mand von
sei­ner Fa­mi­lie hin­zu­kom­men soll­te. Er hat­te es end­gül­tig ma­chen wol­len, so daß
er al­lein es war und blei­ben wür­de. Chaim Wolf, 1941, die Stri­che eng und hart
dar­um, so daß kein an­de­rer Na­me mehr hin­ein­zu­schrei­ben war – ei­ne letz­te
Be­schwö­rung des

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