E.M. Remarque
Neubauer saß neben dem Chauffeur. Er war ein
schwerer Mann mit dem schwammigen Gesicht des Biertrinkers.
Die weißen Handschuhe an seinen breiten Händen leuchteten in der Sonne.
Er bemerkte es und zog sie aus. Selma, dachte er, Freya! Das Haus! Niemand
hatte am Telefon geantwortet. »Los!« sagte er. »Los, Alfred! Fahr zu!«
In der Vorstadt spürten sie den Brandgeruch. Er wurde beißender und dichter, je
weiter sie kamen. Am Neuen Markt sahen sie den ersten Bombenkrater. Die
Sparkasse war zusammengestürzt und brannte. Feuerwehr war ausgefahren und
versuchte die Nachbarhäuser zu retten; aber die Wasserstrahlen schienen viel zu
dünn zu sein, um Wirkung haben zu können.
Der Krater auf dem Platz stank nach Schwefel und Säuren.
Neubauers Magen krampfte sich zusammen. »Fahr durch die Hakenstraße, Alfred«,
sagte er. »Hier kommen wir nicht weiter.«
Der Chauffeur wendete. Der Wagen fuhr in weitem Bogen durch die südliche Stadt.
Häuser mit kleinen Gärten lagen hier friedlich in der Sonne. Der Wind stand
nördlich, und die Luft war klar. Dann, als sie den Fluß kreuzten, kam der
Brandgeruch wieder, bis er in den Straßen lag wie schwerer Nebel im Herbst.
Neubauer zerrte an seinem Schnurrbart, der kurz gestutzt war wie der des
Führers.
Früher hatte er ihn hochgezwirbelt getragen wie Wilhelm II.
Dieser Krampf im Magen!
Selma! Freya! Das schöne Haus! Der ganze Bauch, die Brust, alles war Magen.
Sie mußten noch zweimal einen Umweg machen. Einmal war ein Möbelgeschäft
getroffen worden. Die Vorderseite des Hauses war weggerissen; ein Teil der
Möbel stand noch in den Etagen, der Rest lag über die Straße verstreut auf dem
Schutt und brannte. Das zweitemal war es ein Friseurladen, vor dem herausgeschleuderte
Wachsbüsten zu Fratzen zerschmolzen.
Endlich bog der Wagen in die Liebigstraße ein. Neubauer lehnte sich hinaus. Da
war sein Haus! Der Vorgarten! Da waren der Terrakottazwerg und der Dachshund
aus rotem Porzellan auf dem Rasen. Unbeschädigt! Alle Fenster heil! Der Krampf
im Magen löste sich. Er stieg die Stufen empor und öffnete die Tür.
Glück gehabt, dachte er. Verdammtes Schwein gehabt! Gehörte sich auch so! Warum
sollte gerade ihm was passieren? Er hängte seine Kappe an den Huthaken aus
Hirschgeweihen und ging in das Wohnzimmer. »Selma! Freya! Wo seid ihr?«
Niemand antwortete. Neubauer stampfte zum Fenster und riß es auf. Im Garten
hinter dem Haus arbeiteten zwei russische Gefangene. Sie sahen kurz auf und
gruben eifrig weiter.
»Heda! Bolschewiken!«
Einer der Russen hörte auf zu arbeiten. »Wo ist meine Familie?« schrie
Neubauer.
Der Mann erwiderte etwas auf russisch.
»Laß deine Schweinesprache, Idiot! Du verstehst deutsch! Oder soll ich
hinauskommen und es dir beibringen?«
Der Russe starrte ihn an. »Ihre Frau ist im Keller«, sagte jemand hinter
Neubauer.
Er drehte sich um. Es war das Dienstmädchen. »Im Keller? So, natürlich. Und wo
waren Sie?«
»Draußen, einen Augenblick nur!« Das Mädchen stand in der Tür, das Gesicht
gerötet, mit glänzenden Augen, als käme es von einer Hochzeit. »Hundert Tote
schon, sagen sie«, plapperte es los. »Am Bahnhof, und dann im Kupferwerk, und
in der Kirche ...«
»Ruhe!« unterbrach Neubauer sie. »Wer hat das gesagt?«
»Draußen, die Leute ...«
»Wer?« Neubauer trat einen Schritt vor. »Staatsfeindliche Reden! Wer hat das
gesagt?«
Das Mädchen wich zurück. »Draußen – ich nicht – jemand – alle ...«
»Verräter! Lumpen!« Neubauer tobte. Er konnte die aufgespeicherte Spannung
endlich auslassen. »Bande! Schweine! Meckerer! Und Sie? Was haben Sie draußen
zu tun?«
»Ich – nichts ...«
»Weggerannt vom Dienst, was? Weitertratschen von Lügen und Greuelnachrichten!
Wir werden das
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