E.M. Remarque
allein zu sorgen, kam ihm nie. Der Handel hielt
ihn am Leben; nicht das, womit er handelte.
509 kroch durch die Tür. Die schräge Sonne hinter ihm schien durch seine Ohren.
Sie leuchteten einen Augenblick wächsern und gelb zu beiden Seiten des dunklen
Kopfes. »Sie haben die Stadt bombardiert«, sagte er keuchend.
Niemand antwortete. 509 konnte noch nichts sehen; es war dunkel in der Baracke
nach dem Licht draußen. Er schloß die Augen und öffnete sie wieder. »Sie haben
die Stadt bombardiert«, wiederholte er. »Habt ihr es nicht gehört?«
Auch diesmal sagte keiner etwas. 509 sah jetzt Ahasver neben der Tür. Er saß
auf dem Boden und streichelte den Schäferhund.
Der Schäferhund knurrte; er hatte Angst.
Die verfilzten Haare hingen ihm über das vernarbte Gesicht, und dazwischen
funkelten die erschreckten Augen. »Ein Gewitter«, murmelte Ahasver. »Nichts als
ein Gewitter! Ruhig, Wolf – ruhig!« 509 kroch weiter in die Baracke hinein. Er
begriff nicht, daß die anderen so gleichgültig waren. »Wo ist Berger?« fragte
er.
»Im Krematorium.«
Er legte den Mantel und die Jacke auf den Boden. »Will keiner von euch 'raus?«
Er sah Westhof und Bucher an. Sie erwiderten nichts. »Du weißt doch, daß es
verboten ist«, sagte Ahasver schließlich. »Solange Alarm ist.«
»Der Alarm ist vorbei.«
»Noch nicht.«
»Doch. Die Flieger sind fort. Sie haben die Stadt bombardiert.«
»Das hast du nun schon oft genug gesagt«, knurrte jemand aus dem Dunkel.
Ahasver blickte auf. »Vielleicht werden sie ein paar Dutzend von uns zur Strafe
dafür erschießen.«
»Erschießen?« Westhof kicherte. »Seit wann erschießen sie hier?«
Der Schäferhund bellte. Ahasver hielt ihn fest. »In Holland erschossen sie nach
einem Luftangriff gewöhnlich zehn, zwanzig politische Gefangene. Damit sie
keine falschen Ideen bekämen, sagten sie.«
»Wir sind hier nicht in Holland.«
»Das weiß ich. Ich habe auch nur gesagt, daß in Holland erschossen wurde.«
»Erschießen!« Westhof schnaubte verächtlich. »Bist du ein Soldat, daß du solche
Ansprüche stellst? Hier wird erhängt und erschlagen.«
»Sie könnten es zur Abwechslung tun.«
»Haltet eure verdammten Schnauzen«, rief der Mann von vorher aus dem Dunkel.
509 hockte sich neben Bucher und schloß die Augen. Er sah noch immer den Rauch
über der brennenden Stadt und spürte den dumpfen Donner der Explosionen.
»Glaubt ihr, daß wir heute Abend Essen kriegen?« fragte Ahasver.
»Verdammt!« antwortete die Stimme aus dem Dunkel. »Was willst du noch? Erst willst
du erschossen werden und dann fragst du nach Essen?«
»Ein Jude muß Hoffnung haben.«
»Hoffnung!« Westhof kicherte wieder.
»Was sonst?« fragte Ahasver ruhig.
Westhof verschluckte sich und begann plötzlich zu schluchzen. Er hatte seit
Tagen Barackenkoller.
509 öffnete die Augen. »Vielleicht geben sie uns heute nichts zu essen«, sagte
er. »Als Strafe für das Bombardement.«
»Du mit deinem verfluchten Bombardement«, schrie der Mann im Dunkeln. »Halt
doch endlich deine Schnauze!«
»Hat einer hier noch irgendwas zu essen?« fragte Ahasver.
»O Gott!« Der Rufer im Dunkeln erstickte fast über diese neue Idiotie.
Ahasver achtete nicht darauf. »Im Lager von Theresienstadt hatte jemand einmal
ein Stück Schokolade und wußte es nicht. Er hatte es versteckt, als er eingeliefert
wurde, und hatte es vergessen. Milchschokolade aus einem Automaten. Ein Bild
von Hindenburg war auch in dem Karton.«
»Was noch?« krächzte die Stimme aus dem Hintergrund. »Ein Paß?«
»Nein. Aber wir haben von der Schokolade zwei Tage gelebt.«
»Wer schreit da so?« fragte 509 Bucher.
»Einer von denen, die gestern angekommen sind. Ein Neuer. Wird schon ruhig
werden.«
Ahasver horchte plötzlich. »Es ist vorbei
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