E.M. Remarque
wirkliche
Weltanschauung!
Wahrscheinlich ist ihm nichts heilig; auch nicht die Partei. Sie paßt ihm nur
gerade so. »Wissen Sie, Weber ...« , begann er und brach dann ab. Es hatte keinen
Zweck, große Geschichten zu machen. Einen Augenblick war wieder die jähe Angst
da.
»Natürlich sind die Leute unterernährt«, sagte er. »Aber das ist nicht unsere
Schuld. Der Gegner mit seiner Blockade zwingt uns ja dazu. Oder nicht?«
Weber hob den Kopf. Er traute seinen Ohren nicht. Neubauer sah ihn sonderbar
gespannt an. »Selbstverständlich«, sagte Weber gemächlich. »Der Gegner mit
seiner Blockade.«
Neubauer nickte. Die Angst war wieder verflogen. Er blickte über den
Appellplatz.
»Offen gestanden«, sagte er fast vertraulich. »Es ist trotzdem doch noch ein
mächtiger Unterschied in den Lagern. Unsere Leute sehen bedeutend besser aus
als die dort – selbst im Kleinen Lager. Finden Sie nicht?«
»Ja«, erwiderte Weber perplex.
»Man sieht es, wenn man vergleicht. Wir sind sicher eines der humansten Lager
im ganzen Reich.« Neubauer hatte ein Gefühl behaglicher Erleichterung
»Natürlich sterben Leute. Viele sogar. Das ist unvermeidlich in solchen Zeiten
Aber wir sind menschlich. Wer nicht mehr kann, braucht bei uns nicht zu
arbeiten. Wo gibt es das sonst für Verräter und Staatsfeinde?«
»Fast nirgendwo.«
»Das meine ich auch. Unterernährung? Das ist nicht unsere Schuld! Ich sage
Ihnen, Weber ...« Neubauer hatte plötzlich einen Gedanken. »Hören Sie, ich weiß,
wie wir die Leute hier herauskriegen. Wissen Sie, wie? Mit Essen!«
Weber grinste. Der Alte war manchmal doch nicht nur in den Wolken seiner
eigenen Wunschbilder. »Ausgezeichnete Idee«, erklärte er. »Wenn Knüppel nicht
helfen – Essen hilft immer. Aber wir haben keine Extrarationen parat.«
»Schön, dann müssen die Lagerinsassen mal verzichten. Etwas Kameradschaft
zeigen. Kriegen mal weniger zu Mittag.« Neubauer reckte seine Schultern.
»Verstehen die hier Deutsch?«
»Ein paar vielleicht.«
»Ist ein Dolmetscher da?«
Weber fragte einige der Leute, die Wache gehabt hatten. Sie brachten drei
Gestalten heran. »Übersetzt euren Leuten, was der Herr Obersturmbannführer
sagt!« schnauzte Weber.
Die drei Leute standen nebeneinander. Neubauer trat einen Schritt vor. »Leute!«
sagte er mit Würde. »Ihr seid falsch unterrichtet. Ihr sollt in ein
Erholungslager geführt werden.«
»Los!« Weber stieß einen der drei an. Sie redeten etwas in unverständlichen
Lauten.
Niemand auf dem Platz rührte sich.
Neubauer wiederholte die Worte. »Ihr geht jetzt zur Küche«, fügte er hinzu.
»Kaffee und Essen empfangen!«
Die Dolmetscher riefen es nach. Niemand rührte sich. Keiner glaubte so etwas.
Jeder hatte schon oft Menschen auf ähnliche Weise verschwinden sehen. Essen und
Baden waren gefährliche Versprechen.
Neubauer wurde ärgerlich. »Küche! Abmarsch zur Küche! Essen! Kaffee! Essen und
Kaffee empfangen! Suppe!«
Die Wachen stürzten sich mit ihren Knüppeln auf die Menge.
»Suppe! Hört ihr nicht? Essen! Suppe!« Sie prügelten bei jedem Wort.
»Halt!« schrie Neubauer ärgerlich. »Wer hat euch befohlen, zu prügeln?
Verdammt!«
Die Aufseher sprangen zurück, »'raus mit euch!« schrie Neubauer.
Aus den Leuten mit Knüppeln wurden plötzlich wieder Häftlinge. Sie schlichen am
Rande des Platzes dahin und drückten sich einer hinter den anderen.
»Die schlagen sie ja zu Krüppeln«, knurrte Neubauer. »Dann haben wir sie auf
dem Halse.«
Weber nickte. »Wir haben beim Ausladen am Bahnhof ohnehin schon ein paar
Lastwagen Toter hierher geschickt gekriegt zum Verbrennen.«
»Wo sind denn die?«
»Aufgestapelt am Krematorium. Dabei haben wir Kohlenknappheit.
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