E.M. Remarque
davor und kratzten mit Händen und Nägeln und baten mit
weichen, dunklen Stimmen in der Dunkelheit. »Was sagen sie?« fragte Bucher.
»Sie bitten uns um ihrer Mütter willen, sie hereinzulassen, um ihrer ...« Ahasver
brach ab. Er weinte.
»Wir können es nicht«, sagte Berger.
»Ja, ich weiß ...«
Eine Stunde später kam der Befehl, abzumarschieren.
Draußen wurden Kommandos geschrieen. Ein lautes Klagen antwortete. Andere
Kommandos folgten, wütend und laut.
»Kannst du was sehen, Bucher?« fragte Berger. Sie hockten vor dem kleinen Fenster
auf dem obersten Bett.
»Ja. Sie weigern sich. Sie wollen nicht.«
»Aufstehen!« schrie es draußen. »Antreten! Antreten zum Abzählen!« Die Juden
standen nicht auf. Sie blieben flach auf der Erde liegen und blickten mit Augen
voll Terror auf die Wachen oder verbargen die Köpfe in den Armen.
»Aufstehen!« brüllte Handke. »Los! Hoch, ihr Stinker! Sollen wir euch munter
machen? 'raus hier!«
Das Muntermachen half nichts. Die fünfhundert Kreaturen, die für die Tatsache,
daß sie andere Gebräuche beim Gottesdienst als ihre Peiniger hatten, zu etwas
reduziert worden waren, das nicht mehr als menschlich bezeichnet werden konnte,
reagierten nicht mehr auf Schreie, Flüche und Schläge. Sie blieben liegen, sie
versuchten den Boden zu umarmen, sie krallten sich an ihn, – die elende,
verdreckte Erde des Konzentrationslagers erschien ihnen begehrenswert, sie war
für sie Paradies und Rettung.
Sie wußten, wohin man sie bringen wollte. Solange sie auf dem Transport und in
Bewegung gewesen waren, waren sie stumpf der Bewegung gefolgt. Jetzt, einmal
aufgehalten und zur Ruhe gebracht, weigerten sie sich ebenso stumpf, sich
wieder zu bewegen.
Die Aufseher wurden unsicher. Sie hatten Befehl, die Leute nicht totzuschlagen,
und das war ziemlich schwierig. Der Befehl hatte keinen anderen Grund als den
üblichen bürokratischen: der Transport war dem Lager nicht überwiesen worden;
er sollte es deshalb möglichst geschlossen wieder verlassen.
Mehr SS-Leute erschienen. 509 sah vom Fenster von Baracke 20 aus sogar Weber in
seinen blanken, eleganten Stiefeln herankommen. Er blieb am Eingang des Kleinen
Lagers stehen und gab einen Befehl. Die SS legte an und feuerte dicht über die
Liegenden hinweg. Weber stand breitbeinig neben der Pforte, die Arme in den
Hüften. Er erwartete, daß die Juden nach den Salven aufspringen würden.
Sie taten es nicht. Sie waren jenseits aller Drohung. Sie wollten liegen
bleiben. Sie wollten nicht weiter. Hätte man zwischen sie geschossen, sie
hätten sich wahrscheinlich auch dann kaum noch gerührt.
Webers Gesicht verfärbte sich. »Bringt sie hoch!« schrie er. »Prügelt sie hoch!
Auf die Beine und Füße!«
Die Aufseher stürzten sich in die Menge. Sie prügelten mit Knüppeln und
Fäusten, sie traten mit den Füßen in Mägen und Geschlechtsteile, sie rissen
Leute an den Haaren und Bärten hoch und stellten sie auf; aber die Leute ließen
sich wieder fallen, als seien sie ohne Knochen.
Bucher starrte hinaus. »Sieh dir das an«, flüsterte Berger. »Das sind nicht nur
SS-Leute, die da prügeln. Es sind auch nicht nur grüne. Nicht nur Verbrecher.
Es sind andere Farben darunter. Es sind Leute von uns dabei! Häftlinge wie wir,
zu Kapos und Polizisten gemacht. Sie prügeln ebenso wie ihre Meister.« Er rieb
seine entzündeten Augen, als wolle er sie aus dem Kopf pressen. Dicht neben der
Baracke stand ein alter Mann mit einem weißen Bart. Blut lief aus seinem Munde
und färbte den Bart langsam rot.
»Geht vom Fenster weg«, sagte Ahasver. »Wenn sie euch sehen, holen sie euch
auch.«
»Sie können uns nicht sehen.«
Das Fenster war schmutzig und blind, und man konnte von außen nicht sehen, was
dahinter in dem
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