E.M. Remarque
wiederholte es immer wieder und stieß sich mit dem Zeigefinger vor die
Brust. Es war das einzige Deutsch, das er kannte.
Weber riß die Tür auf. »Wo sind sie?«
Er stand mit zwei Wachen im Rahmen. »Wird's bald? Wo sind sie?«
Niemand antwortete. »Stubenältester!« schrie Weber.
Berger trat vor. »Baracke 22, Sektion ...« begann er zu melden.
»Schnauze! Wo sind sie?«
Berger hatte keine Wahl. Er wußte, daß die Flüchtlinge in wenigen Augenblicken
gefunden werden mußten. Er wußte auch, daß die Baracke auf keinen Fall
durchsucht werden durfte.
Zwei politische Flüchtlinge vom Arbeitslager waren darin versteckt.
Er hob den Arm, um in die Ecke zu zeigen, aber einer der Aufseher, der an ihm
vorbeiblickte, kam ihm zuvor. »Da sind sie! Unter dem Bett!«
»Holt sie 'raus!«
Ein Schuffeln begann in dem vollen Raum. Die beiden Wachen rissen die
Flüchtlinge wie Frösche an beiden Beinen unter dem Bett hervor. Die Gefangenen
krallten ihre Hände um die Pfosten. Sie schwangen in der Luft. Weber trat auf
ihre Finger. Es knackte, und die Hände gaben nach. Die beiden wurden
herausgezerrt. Sie schrieen nicht. Sie stießen nur ein leises, sehr hohes
Stöhnen aus, als sie über den dreckigen Boden geschleift wurden. Der dritte,
mit dem weißen Gesicht, stand von selbst auf und folgte ihnen. Seine Augen
waren große schwarze Löcher. Er blickte die Häftlinge an, an denen er
vorbeiging. Sie wandten die Augen ab. Weber stand breitbeinig vor dem Eingang.
»Wer von euch Schweinen hat die Tür aufgemacht?«
Niemand meldete sich. »'raustreten!«
Sie kamen heraus. Handke stand schon draußen.
»Blockältester!« schnauzte Weber. »Es war befohlen, die Türen zu schließen! Wer
hat sie geöffnet?«
»Die Türen sind alt. Die Flüchtlinge haben das Schloß losgerissen, Herr
Sturmführer.«
»Quatsch! Wie können sie das?« Weber bückte sich über das Schloß. Es hing lose
in dem verrotteten Holz. »Sofort ein neues Schloß anbringen! Hätte längst
gemacht werden sollen! Warum ist das nicht früher getan worden?«
»Die Türen werden nie verschlossen, Herr Sturmführer. Die Leute haben keine
Latrine in der Baracke.«
»Einerlei. Sorgen Sie dafür.« Weber drehte sich um und ging die Straße hinauf,
hinter den Flüchtlingen her, die sich nicht mehr wehrten.
Handke betrachtete die Sträflinge. Sie erwarteten einen seiner Ausbrüche. Aber
es kam keiner. »Schafsköpfe«, sagte er. »Seht zu, daß ihr den Dreck hier
fortkriegt.«
Dann wandte er sich an Berger. »Das hättet ihr wohl nicht gerne gesehen, wenn
die Baracke genau untersucht worden wäre, was?«
Berger erwiderte nichts. Er blickte Handke ausdruckslos an.
Handke lachte kurz auf. »Haltet mich für dumm, wie? Ich weiß mehr, als du
glaubst. Und Ich kriege euch noch! Alle! Alle euch hochnäsigen politischen
Idioten, verstehst du?«
Er stampfte hinter Weber her. Berger drehte sich um. Goldstein stand hinter
ihm.
»Was mag er damit meinen?«
Berger hob die Schultern. »Wir müssen auf jeden Fall sofort Lewinsky
benachrichtigen. Und die Versteckten heute anderswo unterbringen. Vielleicht
geht es in Block 20. 509 weiß da Bescheid.«
XVIII
D er Nebel hing morgens
dicht über dem Lager. Die Maschinengewehrtürme und die Palisaden waren nicht zu
erkennen. Es schien dadurch eine Zeitlang, als existiere das
Konzentrationslager nicht mehr, als habe der Nebel die Umzäunung in eine
weiche, trügerische Freiheit aufgelöst und als brauche man nur vorwärts zu
gehen, um zu finden, sie seien nicht mehr da.
Dann kamen die Sirenen und bald darauf die ersten Explosionen. Sie kamen aus
einem weichen Nirgendwo und hatten keine Richtung und keinen Ursprung. Sie
hätten ebenso in der Luft oder hinter dem Horizont wie in der Stadt sein
können. Sie wurden
Weitere Kostenlose Bücher