E.M. Remarque
gaben.
XIX
B runo«, sagte Selma
Neubauer ruhig. »Sei kein Narr. Denke, bevor andere anfangen zu denken. Das ist
unsere Chance. Verkauf, was du verkaufen kannst. Die Grundstücke, den Garten,
das Haus hier, alles – Verlust oder nicht Verlust.«
»Und Geld? Was soll Geld?« Neubauer schüttelte ärgerlich den Kopf. »Wenn deine
Behauptungen wahr würden, was würde das Geld dann wert sein? Hast du die
Inflation nach dem ersten Weltkrieg vergessen? Eine Billion war eine Mark wert.
Sachwerte, das war auch damals das einzige!«
»Sachwerte, ja! Aber Sachwerte, die man in die Tasche stecken kann.«
Selma Neubauer erhob sich und ging zu einem Schrank. Sie öffnete ihn und räumte
einige Packen Wäsche weg. Dann holte sie einen Kasten hervor und schloß ihn
auf. Er enthielt goldene Zigarettendosen, Puderdosen, ein paar Clips mit
Diamanten, zwei Rubinbroschen und einige Ringe. »Hier«, sagte sie. »Das habe
ich in den letzten Jahren gekauft, ohne daß du es wußtest. Von meinem Geld und
von dem, was ich gespart habe. Dafür habe ich die Aktien verkauft, die ich
hatte. Sie sind heute nichts mehr wert. Die Fabriken liegen in Trümmern. Aber
dieses hier behält seinen Wert. Das kann man mitnehmen. Ich wollte, wir hätten
nur so etwas!«
»Mitnehmen! Mitnehmen! Du redest, als ob wir Verbrecher seien und flüchten
müßten.«
Selma legte die Sachen zurück. Sie putzte eine Zigarettendose mit dem Ärmel
ihres Kleides blank. »Uns kann passieren, was anderen passiert ist, als ihr an
die Macht kamt, oder nicht?«
Neubauer sprang auf. »Wenn man dich hört ...« , sagte er wütend und hilflos. »Man
könnte sich aufhängen. Andere Männer haben Frauen, die sie verstehen, die ein
Trost sind, wenn sie vom Dienst kommen, die sie aufheitern – aber du! Nichts
als unken und: hättest du und Unglücksgeschrei! Den ganzen Tag! Und nachts auch
noch! Nicht einmal da hat man Ruhe! Immerfort: Verkaufen und Miesmachen!«
Selma hörte nicht auf ihn. Sie packte den Kasten weg und legte die Wäsche
wieder davor. »Diamanten«, sagte sie. »Gute, klare Diamanten. Ungefaßt. Nur die
besten Steine. Ein Karat, zwei Karat, drei Karat, bis sechs oder sieben, wenn
man sie kriegen kann. Das ist das richtige. Besser als deine Gärten und
Grundstücke und Häuser. Dein Anwalt hat dich 'reingelegt. Ich bin sicher, daß
er doppelte Prozente gekriegt hat. Diamanten kann man verstecken. Man kann sie
in Kleider einnähen. Sogar 'runterschlucken. Grundstücke nicht.«
Neubauer starrte sie an. »Wie du redest! Einen Tag bist du hysterisch vor Angst
vor ein paar Bomben – und am nächsten Tag redest du wie ein Jude, der einem den
Hals abschneiden könnte für Geld.«
Sie maß ihn mit einem verächtlichen Blick. Sie sah die Stiefel, die Uniform,
den Revolver, den Schnurrbart. »Juden schneiden keine Hälse ab. Juden sorgen
für ihre Familien. Besser als viele germanische Übermenschen. Juden wissen, was
man in gefährlichen Zeiten tut.«
»So? Was haben sie denn gewußt? Wenn sie was gewußt hätten, wären sie nicht
hiergeblieben, und wir hätten nicht die meisten erwischt.«
»Sie haben nicht geglaubt, daß ihr mit ihnen machen würdet, was ihr getan
habt.«
Selma Neubauer betupfte sich die Schläfen mit Eau de Cologne. »Und vergiß
nicht, daß das Geld in Deutschland seit 1931 gesperrt war. Seit die Darmstädter
und Nationalbank in Schwierigkeiten geriet. Deshalb konnten viele nicht weg.
Ihr habt sie dann erwischt. Gut. Und genauso willst du jetzt hierbleiben. Und
genauso werden sie euch erwischen.«
Neubauer blickte sich rasch um. »Vorsicht! Verdammt! Wo ist das Mädchen? Wenn
man dich hört, sind wir verloren. Der Volksgerichtshof kennt keine Gnade! Eine
Denunziation genügt.«
»Das Mädchen hat Ausgang. Und warum kann man mit euch nicht
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