Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Funke Leben
Vom Netzwerk:
dei­ner Toch­ter trau­en.«
    »Ja – ja – aber der Ein­druck! Der An­walt ...«
    »Pfeif auf den Ein­druck! Fre­ya war ein Kind bei der Macht­über­nah­me. Man kann
ihr nichts vor­wer­fen!«
    »Was heißt das? Meinst du, man kann mir was vor­wer­fen?«
    Sel­ma schwieg. Sie sah Neu­bau­er wie­der mit dem ei­gen­tüm­li­chen Blick an.
    »Wir sind Sol­da­ten«, sag­te er. »Wir han­deln auf Be­fehl. Und Be­fehl ist Be­fehl,
das weiß je­der.« Er reck­te sich. »Der Füh­rer be­fiehlt; wir ge­hor­chen. Der
Füh­rer über­nimmt die vol­le Ver­ant­wor­tung für das, was er be­fiehlt. Er hat das
oft ge­nug er­klärt. Das ge­nügt für je­den Pa­trio­ten. Oder nicht?«
    »Ja«, sag­te Sel­ma re­si­gniert. »Aber geh zum An­walt. Laß un­se­ren Be­sitz auf
Fre­ya über­schrei­ben.«
    »Mei­net­we­gen. Ich kann mal mit ihm spre­chen.« Neu­bau­er dach­te nicht dar­an, es
zu tun. Sei­ne Frau war hys­te­risch vor Angst. Er klopf­te ihr auf den Rücken.
»Laß mich nur ma­chen. Ich ha­be es doch im­mer noch ge­schafft.«
    Er stapf­te hin­aus. Sel­ma Neu­bau­er ging zum Fens­ter. Sie sah ihn in den Wa­gen
stei­gen. Be­wei­se! Be­feh­le! dach­te sie. Das ist ih­nen der Frei­spruch für al­les.
Schön und gut, so­lan­ge es klapp­te. Hat­te sie nicht sel­ber mit­ge­macht? Sie
blick­te auf ih­ren Ehe­ring. Vier­und­zwan­zig Jah­re trug sie ihn nun; er hat­te
zwei­mal er­wei­tert wer­den müs­sen. Da­mals, als sie ihn be­kam, war sie ei­ne an­de­re
Per­son ge­we­sen. Um die Zeit war auch ein Ju­de da­ge­we­sen, der sie hat­te hei­ra­ten
wol­len. Ein klei­ner, tüch­ti­ger Mann, der lis­pel­te und nicht schrie. Jo­sef
Bom­fel­der hat­te er ge­hei­ßen. Er war 1928 nach Ame­ri­ka ge­gan­gen. Klu­ger Mann.
Recht­zei­tig. Sie hat­te dann noch ein­mal et­was von ihm ge­hört, über ei­ne
Be­kann­te, der er ge­schrie­ben hat­te, es gin­ge ihm sehr gut.
    Me­cha­nisch dreh­te sie an ih­rem Trau­ring. Ame­ri­ka, dach­te sie. Da gibt es
nie­mals In­fla­ti­on. Die sind zu reich.
    509 horch­te. Er kann­te die Stim­me. Vor­sich­tig hock­te er sich hin­ter den
Hau­fen von To­ten und lausch­te.
    Er wuß­te, daß Le­wins­ky die­se Nacht je­mand vom Ar­beits­la­ger hat­te brin­gen
wol­len, der ei­ni­ge Ta­ge ver­steckt blei­ben soll­te; aber Le­wins­ky hat­te, ge­treu
der al­ten Re­gel, daß nur Ver­bin­dungs­leu­te sich ken­nen soll­ten, nicht ge­sagt,
wer es war.
    Der Mann sprach lei­se, aber sehr klar. »Wir brau­chen je­den Mann, der mit uns
ist«, sag­te er. »Wenn der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus fällt, ist zum ers­ten Ma­le kei­ne
ge­schlos­se­ne Par­tei da, um die po­li­ti­sche Lei­tung zu über­neh­men. Al­le sind in
den zwölf Jah­ren zer­split­tert oder zer­stört wor­den. Die Res­te sind in den
Un­ter­grund ge­gan­gen. Wir wis­sen nicht, wie­viel sich da­von er­hal­ten hat. Es wird
ent­schlos­se­ne Leu­te brau­chen, um ei­ne neue Or­ga­ni­sa­ti­on auf­zu­bau­en. Nur ei­ne
ein­zi­ge Par­tei wird im Cha­os der Nie­der­la­ge in­takt blei­ben: der
Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Ich mei­ne nicht die Mit­läu­fer, die schlie­ßen sich je­der
Par­tei an – ich mei­ne den Kern. Er wird ge­schlos­sen in den Un­ter­grund ge­hen und
war­ten, um wie­der her­aus­zu­kom­men. Da­ge­gen ha­ben wir zu kämp­fen; und da­zu
brau­chen wir Leu­te.«
    Es ist Wer­ner, dach­te 509; er muß es sein; aber ich weiß doch, daß er tot ist.
Er konn­te nichts se­hen; die Nacht war mond­los und die­sig. »Die Mas­sen drau­ßen
sind zum großen Teil de­mo­ra­li­siert«, sag­te der Mann. »Zwölf Jah­re Ter­ror,
Boy­kott, De­nun­zia­tio­nen und Angst ha­ben das ge­schafft – da­zu kommt jetzt der
ver­lo­re­ne Krieg. Sie kön­nen durch Un­ter­grund­ter­ror und Sa­bo­ta­ge noch jah­re­lang
in Angst vor den Na­zis ge­hal­ten wer­den. Sie müs­sen wie­der ge­won­nen wer­den – die
Ver­führ­ten und Ver­ängs­tig­ten. Iro­ni­scher­wei­se hat sich die Geg­ner­schaft zu den
Na­zis in den La­gern bes­ser er­hal­ten als ir­gend­wo drau­ßen. Man hat uns zu­sam­men­ge­sperrt;
drau­ßen hat man die Grup­pen aus­ein­an­der­ge­trie­ben. Drau­ßen war es schwer,
Ver­bin­dun­gen auf­recht­zu­er­hal­ten;

Weitere Kostenlose Bücher