E.M. Remarque
ersten Sekunde einfach nicht faßte. Dann
richtete er sich auf.
»Was ist los? Berger! Berger!«
Berger krümmte sich und lag still. »Nichts«, sagte er.
»Ist das ein Blutsturz?«
»Nein.«
»Was denn?«
»Magen.«
»Magen?«
Berger nickte. Er spuckte das Blut aus, das noch in seinem Munde war. »Nichts
Schlimmes«, flüsterte er.
»Schlimm genug. Was müssen wir machen? Sag, was wir tun müssen?«
»Nichts. Liegen. Ruhig liegen lassen.«
»Sollen wir dich hineinbringen? Du kannst ein Bett für dich haben. Wir werfen
ein paar andere hinaus.«
»Laß mich nur liegen.«
509 war plötzlich völlig verzweifelt. Er hatte so viele Menschen sterben sehen
und war so oft beinahe selbst gestorben, daß er geglaubt hatte, ein einzelner
Tod könne nicht mehr viel für ihn bedeuten. Jetzt aber traf es ihn wie das
erstemal. Ihm schien, als verliere er den letzten und einzigen Freund seines
Lebens. Er war sofort hoffnungslos.
Berger lächelte ihm mit schweißnassem Gesicht zu – aber 509 sah ihn bereits
regungslos am Rande des Zementweges liegen.
»Irgend jemand muß noch was zu essen haben! Oder Medizin besorgen! Lebenthal!«
»Nichts zu essen«, flüsterte Berger. Er hob eine Hand und öffnete die Augen.
»Glaub mir. Ich werde sagen, was ich brauche. Und wann. Jetzt nichts. Glaub
mir. Es ist nur der Magen.« Er schloß die Augen wieder.
Nach dem Abpfeifen kam Lewinsky aus der Baracke. Er hockte sich zu 509. »Warum
bist du eigentlich nicht in der Partei?« fragte er.
509 blickte auf Berger. Berger atmete regelmäßig. »Wozu willst du das gerade
jetzt wissen?« fragte er zurück.
»Es ist schade. Ich wollte, du wärest einer von uns.« 509 wußte, was Lewinsky
meinte. Die Kommunisten bildeten in der unterirdischen Lagerleitung eine
besonders zähe, verschlossene und energische Gruppe. Sie arbeitete zwar mit den
anderen zusammen, traute ihnen aber nie ganz und verfolgte ihre besonderen
Ziele. Sie schützte und förderte zuerst ihre eigenen Leute.
»Wir könnten dich gebrauchen«, sagte Lewinsky. »Was warst du früher? Beruf
meine ich?«
»Redakteur«, erwiderte 509 und wunderte sich selbst, wie sonderbar das klang.
»Redakteure könnten wir besonders gut gebrauchen.« 509 erwiderte nichts. Er
wußte, daß eine Diskussion mit einem Kommunisten ebenso zwecklos war wie mit
einem Nazi.
»Hast du eine Ahnung, was für einen Blockältesten wir kriegen?« fragte er nach
einer Weile.
»Ja. Wahrscheinlich einen von unseren eigenen Leuten. Sicher aber einen
Politischen. Bei uns ist auch ein neuer eingesetzt worden. Er gehört zu uns.«
»Dann gehst du wieder zurück?«
»In ein oder zwei Tagen. Das hat mit dem Blockältesten nichts zu tun.«
»Hast du sonst etwas gehört?«
Lewinsky blickte 509 prüfend an. Dann rückte er näher heran.
»Wir erwarten die Übernahme des Lagers in etwa zwei Wochen.«
»Was?«
»Ja. In zwei Wochen.«
»Du meinst die Befreiung?«
»Die Befreiung und die Übernahme durch uns. Wir müssen es übernehmen, wenn die
SS abzieht.«
»Wer wir?«
Lewinsky zögerte wieder einen Augenblick. »Die künftige Lagerleitung«, sagte er
dann. »Es muß eine dasein, und sie wird bereits organisiert; sonst gibt es
nichts als Verwirrung. Wir müssen bereit sein, sofort einzugreifen. Die
Verpflegung des Lagers muß ohne Unterbrechung weitergeführt werden, das ist das
wichtigste. Verpflegung, Versorgung, Verwaltung – Tausende von Menschen können
nicht gleich auseinanderlaufen.«
»Hier sicher nicht. Hier können nicht alle laufen.«
»Das kommt dazu. Ärzte, Medizin, Transportmöglichkeiten, Nahrungsnachschub,
Requisitionen dafür in den Dörfern ...«
»Und wie wollt ihr das alles machen?«
»Man wird uns helfen, das ist gewiß. Aber wir müssen es
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