E.M. Remarque
da, wie es sich gehörte. Die Natur war verläßlich – da gab es
kein Weglaufen.
Er ging in den Stall. Die Kaninchen mümmelten hinter den Drahtgittern. In ihren
klaren, roten Augen waren keine Gedanken über Bankkonten. Neubauer steckte
einen Finger durch den Draht und kraulte die weichen Felle der weißen Angoras.
Einen Schal hatte er machen lassen wollen aus dem Pelz, für Selma. Er, der
gutmütige Narr, den alle immer betrogen.
Er lehnte sich gegen die Gitter und starrte durch die offene Tür. Seine
Entrüstung verwandelte sich im Frieden des behaglich warmen Stalles in schweres
Mitleid mit sich selbst.
Der strahlende Himmel, ein blühender Zweig, der vor dem Eingang auf und ab
schwankte, die sanften Tiergesichter in der Dämmerung – alles trug dazu bei.
Plötzlich hörte er wieder das Rollen. Es war unregelmäßiger, aber stärker als
vorher.
Unwiderstehlich brach es in seinen privaten Gram, ein dumpfes, unterirdisches
Pochen. Es pochte und pochte, und mit ihm kam wieder die Angst. Aber es war
eine andere Angst als früher. Sie war tiefer. Er war jetzt allein und konnte
sich nicht mehr täuschen, indem er andere zu überreden versuchte und damit sich
selbst. Jetzt spürte er sie ohne allen Vorbehalt, sie quoll ihm in die Kehle,
aus dem Magen, und aus der Kehle wieder in den Magen und in die Eingeweide. Ich
habe nichts Unrechtes getan, dachte er ohne Überzeugung. Nur meine Pflicht. Ich
habe Zeugen. Viele. Blank ist mein Zeuge; ich habe ihm noch kürzlich eine
Zigarre gegeben, anstatt ihn einsperren zu lassen. Ein anderer hatte ihm sein
Geschäft genommen ohne jede Bezahlung. Blank hat das selbst zugegeben, er wird
es bezeugen können; ich bin anständig gewesen, er wird es beschwören.
Er wird es nicht beschwören, dachte ein kaltes Anderes in ihm, und er drehte
sich um, als habe jemand hinter ihm es gesagt. Da standen die Rechen, die
Schaufeln, die Harken, grün bemalt, verläßliche Holzstiele daran – wäre man
doch jetzt ein Bauer, ein Gartenbesitzer, ein Gastwirt, ein Nirgendwer! Dieser
verdammte Zweig, der da blühte, er hatte es leicht, er blühte einfach und hatte
keine Verantwortung.
Aber wohin sollte ein Obersturmbannführer? Von einer Seite kamen die Russen,
von der anderen die Engländer und Amerikaner, wohin sollte man da? Selma hatte
gut reden.
Wegrennen vor den Amerikanern hieß näher zu den Russen rennen, und was die
machen würden, konnte man sich ja denken. Die waren nicht umsonst von Moskau
und Stalingrad her durch ihr verwüstetes Land gezogen.
Neubauer wischte sich den Schweiß aus den Augen. Er machte einige Schritte. Die
Knie waren wacklig. Man mußte genauer nachdenken. Er tastete sich aus dem Stall
heraus. Die Luft draußen war frisch. Er atmete tief; aber mit der Luft schien
er auch das unregelmäßige Rollen vom Horizont einzuatmen. Es vibrierte in
seinen Lungen und machte ihn wieder schwach. Sehr leicht, ohne Rülpsen, kotzte
er gegen einen Baum in den Narzissen. »Das Bier«, sagte er. »Das Bier und der
Steinhäger. Bekommen mir nicht.« Er sah nach dem Eingang des Gartens.
Alfred konnte ihn nicht sehen.
Er stand noch eine Weile. Dann fühlte er, wie der Schweiß im Winde trocknete.
Langsam ging er zum Wagen zurück.
»Zum Puff, Alfred.«
»Wohin, Herr Obersturmbannführer?«
»Zum Puff!« schrie Neubauer plötzlich wütend. »Verstehst du kein Deutsch mehr?«
»Das Bordell ist geschlossen worden. Es ist jetzt ein Notlazarett.«
»Dann fahr zum Lager.«
Er stieg ein. Ins Lager – wohin sonst sollte er noch?
»Was halten Sie von der Lage, Weber?«
Weber blickte ihn gleichmütig an. »Ausgezeichnet.«
»Ausgezeichnet? Wirklich?« Neubauer kramte nach Zigarren; dann erinnerte er
sich, daß Weber keine rauchte. »Ich
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