E.M. Remarque
schon noch herausfinden! Durchgegriffen muß hier werden!
Verdammt scharf durchgegriffen! Marsch, in die Küche!«
Das Mädchen lief hinaus. Neubauer schnaufte und schloß das Fenster. Nichts
passiert, dachte er. Im Keller sind sie, natürlich. Hätte ich mir gleich denken
können.
Er holte eine Zigarre hervor und zündete sie an. Dann zog er seinen Rock glatt,
wölbte die Brust, sah in den Spiegel und ging hinunter.
Seine Frau und seine Tochter saßen dicht nebeneinander auf einer Chaiselongue,
die an der Wand stand. Über ihnen hing in breitem Goldrahmen ein mehrfarbiges
Bild des Führers.
Der Keller war 1940 als Luftschutzkeller hergerichtet worden.
Neubauer hatte ihn damals nur aus Repräsentationsrücksichten bauen lassen; es
gehörte zum Patriotismus, in diesen Dingen mit gutem Beispiel voranzugehen.
Niemand hatte je im Ernst daran gedacht, daß Deutschland bombardiert werden könne.
Die Erklärung Görings, man möge ihn fortan Meier nennen, wenn feindliche
Flugzeuge so etwas im Angesicht der Luftwaffe fertig brächten, war jedem
ehrlichen Deutschen genug gewesen. Leider war es anders gekommen. Ein typisches Beispiel für die Heimtücke der
Plutokraten und Juden: sich schwächer zu stellen, als sie waren.
»Bruno!« Selma Neubauer erhob sich und begann zu schluchzen.
Sie war blond und fett und trug einen Morgenrock aus lachsfarbener
französischer Seide mit Spitzen. Neubauer hatte ihn ihr 1941 von einem Urlaub
aus Paris mitgebracht.
Ihre Backen zitterten, und ihr zu kleiner Mund kaute an Worten.
»Es ist vorbei, Selma. Beruhige dich.«
»Vorbei ...« sie kaute weiter, als wären die Worte zu große Königsberger Klopse.
»Für wie – wie lange?«
»Für immer. Sie sind weg. Der Angriff ist abgeschlagen. Sie kommen nicht
wieder.«
Selma Neubauer hielt ihren Morgenrock über der Brust fest.
»Wer sagt das, Bruno? Woher weißt du das?«
»Wir haben mindestens die Hälfte abgeschossen. Die werden sich hüten, wiederzukommen.«
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß es. Sie haben uns diesmal überrascht. Das nächste mal werden wir ganz
anders auf dem Posten sein.«
Die Frau hörte auf zu kauen. »Das ist alles?« fragte sie. »Das ist alles, was
du uns sagen kannst?«
Neubauer wußte, daß es nichts war. »Ist es nicht genug?« fragte er deshalb
barsch zurück.
Seine Frau starrte ihn an. Ihre Augen waren wässerig und hellblau. »Nein!«
kreischte sie plötzlich. »Das ist nicht genug! Das ist nichts als Quatsch! Es
heißt gar nichts! Was haben wir nicht alles schon gehört? Erst erzählt man uns,
wir wären so stark, daß nie ein feindlicher Flieger nach Deutschland
hereinkäme, und auf einmal kommen sie doch. Dann heißt es, sie kämen nicht
wieder, wir schossen sie von nun an alle an den Grenzen ab, und statt dessen
kommen zehnmal so viele zurück, und der Alarm geht andauernd. Und jetzt haben
sie uns schließlich hier auch erwischt, und da kommst du großartig und sagst,
sie würden nicht wiederkommen, wir würden sie schon kriegen! Und das soll ein vernünftiger
Mensch glauben?«
»Selma!« Neubauer warf unwillkürlich einen Blick auf das Bild des Führers. Dann
sprang er zur Tür und warf sie zu. »Verdammt! Nimm dich zusammen!« zischte er.
»Willst du uns alle ins Unglück bringen? Bist du verrückt geworden, so zu
schreien?«
Er stand dicht vor ihr. Über ihren dicken Schultern blickte der Führer weiter
kühn in die Landschaft von Berchtesgaden.
Neubauer hatte einen Augenblick fast geglaubt, er hätte alles mit angehört.
Selma sah den Führer nicht. »Verrückt?« kreischte sie. »Wer ist verrückt? Ich
nicht. Wir hatten ein wunderbares Leben vor dem Kriege – und jetzt? Jetzt? Ich
möchte wissen, wer da verrückt ist?«
Neubauer ergriff mit beiden Händen ihre Arme und schüttelte sie so,
Weitere Kostenlose Bücher