E.M. Remarque
Frankreichs
besetzt. Die Invasionsarmee hat die größten Schwierigkeiten mit dem Nachschub.
Der Gegenstoß wird die Feinde ins Meer fegen. Er ist in unmittelbarer
Vorbereitung. Wir haben gewaltige Reserven angehäuft. Und unsere neuen Waffen –
ich darf nichts weiter darüber sagen –, aber ich habe es von höchster Stelle:
Der Sieg ist unser in drei Monaten. Die müssen wir noch durchhalten.« Er
streckte den Arm aus. »An die Arbeit! Heil Hitler!«
»Heil Hitler!« donnerte die Gruppe.
Neubauer verließ das Rathaus. Von Rußland hat er nichts gesagt, dachte er. Vom
Rhein auch nicht. Vom durchbrochenen Westwall schon gar nichts. Durchhalten –
das ist leicht für ihn.
Er besitzt nichts. Er ist ein Fanatiker. Er hat kein Geschäftshaus in der Nähe
des Bahnhofs wie ich. Er ist nicht beteiligt an der Mellener Zeitung. Er hat
nicht einmal Grund und Boden. Ich habe das alles. Wenn es in die Luft fliegt –
wer gibt mir was dafür?
Plötzlich waren Menschen auf der Straße. Der Platz vor dem Rathaus war gedrängt
voll. Auf der Freitreppe wurde ein Mikrofon montiert. Dietz sollte reden. Von
der Fassade starrten die steinernen Gesichter Karls des Großen und Heinrichs des
Löwen unbewegt lächelnd herunter. Neubauer stieg in den Mercedes. »Zur
Hermann-Göring-Straße, Alfred.« Das Geschäftshaus Neubauers lag an der Ecke
der Hermann-Göring-Straße und der Friedrichsallee. Es war ein großer Bau mit
einem Modegeschäft im unteren Stock. Die beiden oberen Stockwerke bestanden aus
Büros.
Neubauer ließ halten und ging um das Haus herum. Zwei Schaufensterscheiben
waren gesprungen; sonst war nichts beschädigt. Er blickte zu den Büros hinauf.
Sie lagen im Nebel des Qualms vom Bahnhof; aber nichts brannte. Ein paar
Scheiben konnten auch da geplatzt sein; doch das war alles.
Er stand eine Weile. Zweihunderttausend Mark, dachte er.
Das war es mindestens wert, wenn nicht mehr. Er hatte fünftausend dafür
bezahlt. Es hatte 1933 dem Juden Josef Blank gehört. Der hatte hunderttausend
verlangt und gezetert, er verliere genug daran und wolle es nicht billiger
geben. Nach vierzehn Tagen im Konzentrationslager hatte er es für fünftausend
Mark verkauft. Ich bin anständig gewesen, dachte Neubauer.
Ich hätte es umsonst haben können. Blank hätte es mir geschenkt, nachdem die SS
ihren Spaß mit ihm gehabt hatte. Ich habe ihm fünftausend Mark gegeben. Gutes
Geld. Natürlich nicht sofort; damals hatte ich noch nicht so viel. Aber ich
habe es bezahlt, nachdem die ersten Mieten einkamen. Blank war auch damit
einverstanden gewesen. Ein legaler Verkauf.
Freiwillig. Notariell beglaubigt. Daß Josef Blank unglücklich im Lager gefallen
war, ein Auge verloren, einen Arm gebrochen und sich sonst noch verletzt hatte,
war ein bedauerlicher Zufall gewesen. Leute mit Plattfüßen fielen leicht.
Neubauer hatte es nicht befohlen. Er war auch nicht dabei gewesen. Er hatte
Blank nur in Schutzhaft nehmen lassen, damit übereifrige SS-Leute ihm nichts
zuleide taten. Das andere ging auf Kappe des Lagerführers Weber.
Er drehte sich um. Wozu dachte er plötzlich an diesen alten Kram? Was war los
mit ihm? Das war doch alles längst vergessen. Man mußte leben. Hätte er das
Haus nicht gekauft, dann hätte es jemand anderes von der Partei getan. Für
weniger Geld. Für gar nichts. Er hatte legal gehandelt. Nach dem Gesetz.
Der Führer hatte selbst gesagt, daß seine Getreuen belohnt werden mußten. Und
was war das bißchen, das er, Bruno Neubauer, erwischt hatte, gegen die Großen?
Göring, zum Beispiel, oder Springer, den Gauleiter, der vorn Hotelportier zum
Millionär aufgestiegen war? Neubauer hatte nichts geraubt.
Er hatte nur billig gekauft. Er war gedeckt. Er hatte Quittungen. Alles
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