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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Funke Leben
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daß ihr
Kopf hin- und her­flog und sie nicht mehr schrei­en konn­te. Ihr Haar lös­te sich,
ein paar Käm­me fie­len her­aus, sie ver­schluck­te sich und hus­te­te. Er ließ sie
frei. Sie fiel wie ein Sack auf die Chai­se­longue.
    »Was ist mit ihr los?« frag­te er sei­ne Toch­ter.
    »Nichts wei­ter. Mut­ter ist sehr auf­ge­regt.«
    »Warum? Es ist doch nichts pas­siert.«
    »Nichts pas­siert?« be­gann die Frau wie­der. »Dir na­tür­lich nicht, da oben! Aber
wir hier al­lein ...«
    »Ru­hig! Ver­dammt! Nicht so laut! Ha­be ich da­für fünf­zehn Jah­re ge­schuf­tet,
da­mit du mit dei­nem Ge­schrei al­les auf einen Schlag wie­der ver­nich­test? Meinst
du, es war­ten nicht schon ge­nug dar­auf, mei­nen Pos­ten zu schnap­pen?«
    »Es war das ers­te Bom­bar­de­ment, Va­ter«, sag­te Fre­ya Neu­bau­er ru­hig. »Bis­her
ha­ben wir doch nur Alar­me ge­habt. Mut­ter wird sich schon ge­wöh­nen.«
    »Das ers­te? Na­tür­lich das ers­te! Wir soll­ten froh sein, daß bis­her noch nichts
pas­siert ist, an­statt Un­sinn zu schrei­en.«
    »Mut­ter ist ner­vös. Sie wird sich schon ge­wöh­nen.«
    »Ner­vös!« Neu­bau­er war ir­ri­tiert durch die Ru­he sei­ner Toch­ter. »Wer ist nicht
ner­vös? Meinst du, ich bin nicht ner­vös? Man muß sich be­herr­schen kön­nen. Was
wür­de sonst pas­sie­ren?«
    »Das­sel­be!« Sei­ne Frau lach­te. Sie lag auf der Chai­se­longue, die plum­pen Bei­ne
ge­spreizt. Ih­re Fü­ße steck­ten in ro­sa Sei­den­schu­hen. Sie hielt Ro­sa und Sei­de
für sehr ele­gant. »Ner­vös! Ge­wöh­nen! Du kannst gut re­den!«
    »Ich? Wie­so?«
    »Dir pas­siert nichts.«
    »Was?«
    »Dir pas­siert nichts. Aber wir sit­zen hier in der Fal­le.«
    »Das ist ja blü­hen­der Un­sinn! Ei­ner ist wie der an­de­re. Wie­so kann mir denn
nichts pas­sie­ren?«
    »Du bist si­cher, da oben in dei­nem La­ger!«
    »Was?« Neu­bau­er warf sei­ne Zi­gar­re zu Bo­den und tram­pel­te dar­auf. »Wir ha­ben
nicht sol­che Kel­ler wie ihr hier.« Es war ge­lo­gen.
    »Weil ihr kei­ne braucht. Ihr seid au­ßer­halb der Stadt.«
    »Als ob das was aus­mach­te! Wo ei­ne Bom­be hin­fällt, da fällt sie hin.«
    »Das La­ger wird nicht bom­bar­diert wer­den.«
    »So? Das ist ja ganz neu. Wo­her weißt du denn das? Ha­ben die Ame­ri­ka­ner ei­ne
Nach­richt dar­über ab­ge­wor­fen? Oder dir spe­zi­ell Be­scheid ge­sagt?«
    Neu­bau­er sah auf sei­ne Toch­ter. Er er­war­te­te Bei­fall für die­sen Witz. Aber
Fre­ya zupf­te an den Fran­sen ei­ner Plüsch­de­cke, die über den Tisch ne­ben der
Chai­se­longue ge­brei­tet war. Da­für ant­wor­te­te sei­ne Frau. »Sie wer­den ih­re
ei­ge­nen Leu­te nicht bom­bar­die­ren.«
    »Quatsch! Wir ha­ben gar kei­ne Ame­ri­ka­ner da. Auch kei­ne Eng­län­der. Nur Rus­sen,
Po­len, Bal­kan­ge­sin­del und deut­sche Va­ter­lands­fein­de, Ju­den, Ver­rä­ter und
Ver­bre­cher.«
    »Sie wer­den kei­ne Rus­sen und Po­len und Ju­den bom­bar­die­ren«, er­klär­te Sel­ma mit
stump­fem Ei­gen­sinn.
    Neu­bau­er dreh­te sich scharf um. »Du weißt ja ei­ne gan­ze Men­ge«, sag­te er lei­se
und sehr wü­tend. »Aber jetzt will ich dir ein­mal et­was sa­gen. Die wis­sen
über­haupt nicht, was für ein La­ger da oben ist, ver­stan­den? Sie se­hen nur
Ba­ra­cken. Sie kön­nen sie glatt für Mi­li­tär­ba­ra­cken hal­ten. Sie se­hen Ka­ser­nen.
Das sind un­se­re SS-Ka­ser­nen. Sie se­hen die Ge­bäu­de, in de­nen die Leu­te
ar­bei­ten. Das sind für sie Fa­bri­ken und Zie­le. Da oben ist es hun­dert­mal
ge­fähr­li­cher als hier. Des­halb woll­te ich nicht, daß ihr da wohnt. Hier un­ten
sind kei­ne Ka­ser­nen und kei­ne Fa­bri­ken in der Nä­he. Be­greifst du das end­lich?«
    »Nein.«
    Neu­bau­er starr­te sei­ne Frau an. Sel­ma war noch nie so ge­we­sen. Er wuß­te nicht,
was in sie ge­fah­ren war. Das biß­chen Angst al­lein konn­te es nicht sein. Er
fühl­te sich plötz­lich von sei­ner Fa­mi­lie ver­las­sen; ge­ra­de wenn sie hät­ten
zu­sam­men­ste­hen sol­len.
    Är­ger­lich blick­te er wie­der zu sei­ner Toch­ter hin­über. »Und du?« sag­te er. »Was
meinst du da­zu? Warum tust du den Mund nicht auf?« Fre­ya Neu­bau­er stand auf.
Sie war zwan­zig Jah­re alt, dünn, hat­te

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