E.M. Remarque
des Breuerschen Erziehungsprogramms
hinter sich: Ernährung mit nichts anderem als Salzheringen und Salzwasser für
einige Tage; dazu volle Hitze, angekettet an die Heizungsröhren.
»Schluß«, erklärte Breuer schließlich und riß die Kanne weg. »Steh auf. Komm
mit.«
Lübbe stolperte hoch. Er lehnte an der Wand und erbrach Wasser. »Siehst du«,
sagte Breuer. »Ich habe dir gesagt, trink langsam. Marsch!«
Er stieß Lübbe vor sich her, den Korridor entlang, in sein Zimmer. Lübbe fiel
hinein.
»Steh auf«, sagte Breuer. »Setz dich auf den Stuhl. Los.«
Lübbe kroch auf den Stuhl. Er schwankte und lehnte sich zurück und wartete auf
die nächste Tortur. Er kannte nichts anderes mehr.
Breuer sah ihn nachdenklich an. »Du bist mein ältester Gast, Lübbe. Sechs
Monate, wie?«
Das Gespenst vor ihm schwankte.
»Wie?« wiederholte Breuer.
Das Gespenst nickte.
»Eine schöne Zeit«, erklärte Breuer. »Lange. So was verbindet direkt. Du bist
mir irgendwie ans Herz gewachsen. Das ist komisch, aber es ist tatsächlich so
ähnlich. Ich habe ja persönlich nichts gegen dich, das weißt du ...«
»Das weißt du«, wiederholte er nach einer Pause. »Oder nicht?«
Das Gespenst nickte wieder. Es wartete auf die nächste Folter.
»Es geht einfach gegen euch alle. Der einzelne ist piepegal.«
Breuer nickte gewichtig und schenkte sich Kognak ein.
»Piepegal. Schade, ich dachte, du hättest durchgestanden. Wir hatten nur noch
Aufhängen an den Füßen und eine Kürübung, dann wärest du durch gewesen und
'rausgekommen, das weißt du?«
Das Gespenst nickte. Es wußte es nicht genau; aber es stimmte, daß Breuer
manchmal Gefangene entließ, für die nicht ausdrücklich Todesbefehl vorlag,
nachdem sie alle Foltern durchgestanden hatten. Er hatte da eine Art von
Bürokratie; wer durchkam, hatte eine Chance. Es hing mit einer widerwilligen
Bewunderung dafür zusammen, daß der Gegner so viel aushielt.
Es gab Nazis, die so dachten, und die sich deshalb für sportlich und für
Gentlemen hielten.
»Schade«, sagte Breuer. »Ich hätte dich eigentlich ganz gern laufen lassen. Du
hast Courage gehabt. Schade, daß ich dich trotzdem erledigen muß. Weißt du,
warum?«
Lübbe antwortete nicht. Breuer zündete sich eine Zigarette an und öffnete das
Fenster.
»Darum.« Er horchte einen Augenblick. »Hörst du es?« Er sah, daß Lübbes Augen
ihm verständnislos folgten. »Artillerie«, sagte er. »Feindliche Artillerie. Sie
kommen näher. Deshalb! Deshalb wirst du heute nacht umgelegt.«
Er schloß das Fenster. »Pech, was?« Er grinste ein schiefes Lächeln. »Gerade
ein paar Tage, bevor sie euch hier herausholen können. Richtiges Pech, was?«
Er freute sich über seinen Einfall. Es gab dem Abend Finesse; ein Stück
seelischer Folter als Abschluß. »Wirklich, verdammtes Pech, was?«
»Nein«, flüsterte Lübbe.
»Was?«
»Nein.«
»Bist du so lebensmüde?«
Lübbe schüttelte den Kopf. Breuer sah ihn überrascht an. Er spürte, daß nicht
ganz dasselbe Wrack mehr vor ihm saß wie vor einer Minute. Lübbe sah plötzlich
aus, als habe er einen Tag Ruhe gehabt. »Weil sie euch jetzt holen werden«,
flüsterte er mit zerrissenen Lippen. »Alle.«
»Quatsch! Quatsch!« Breuer war einen Moment wütend. Er merkte, daß er einen
Fehler gemacht hatte. Anstatt Lübbe zu quälen, hatte er ihm einen Dienst
erwiesen.
Wer konnte auch ahnen, daß der Kerl so wenig an seinem Leben hing? »Bilde dir
nur nichts ein! Ich habe dir was vorgeschwindelt. Wir verlieren nicht! Wir
räumen hier nur! Die Front wird verlegt, das ist alles!«
Es wirkte nicht überzeugend. Breuer wußte es selbst. Er nahm einen Schluck. Ist
auch gleich, dachte er und trank noch einmal.
»Denk, was du willst«, sagte er dann. »Ist trotzdem dein Pech. Zwingt mich,
dich
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