E.M. Remarque
war amtlich beglaubigt.
Eine Flamme schoß vom Bahnhof auf. Explosionen folgten.
Munitionswagen wahrscheinlich. Rote Reflexe flatterten über das Haus – als
schwitze es plötzlich Blut.
Unsinn, dachte Neubauer. Ich bin tatsächlich nervös. Die jüdischen Anwälte, die
man damals da oben herausgeholt hat, sind doch längst vergessen! Er stieg
wieder in den Wagen. Zu dicht am Bahnhof – glänzende Geschäftslage, aber
verdammt gefährlich für Bombardements; da konnte man schon nervös werden. »Zur
Großen Straße, Alfred!«
Das Gebäude der Mellener Zeitung war völlig unbeschädigt.
Neubauer hatte das bereits telefonisch erfahren. Man brachte gerade ein
Extrablatt heraus. Die Nummern wurden den Trägern aus den Händen gerissen.
Neubauer sah die weißen Packs verschwinden.
Ein Pfennig an jedem Stück gehörte ihm. Neue Träger kamen mit neuen Packs. Sie
sausten auf ihren Fahrrädern davon.
Extrablätter waren Extraverdienst.
Jeder Träger hatte mindestens zweihundert bei sich. Neubauer zählte siebzehn
Träger. Das waren vierunddreißig Mark extra.
Wenigstens etwas Gutes bei der Sache. Er konnte einen Teil der gesprungenen
Schaufenster damit bezahlen. Unsinn – die waren ja versichert. Das hieß, wenn
die Versicherung zahlte. Zahlen konnte, bei all den Schäden. Sie würde zahlen!
Wenigstens ihm.
Die vierunddreißig Mark waren Reinverdienst.
Er kaufte eines der Extrablätter. Ein kurzer Aufruf von Dietz war bereits
darin.
Schnelle Arbeit. Dazu die Meldung, daß zwei Flieger über der Stadt, die Hälfte
der anderen über Minden, Osnabrück und Hannover abgeschossen worden seien. Ein
Artikel von Goebbels über die unmenschliche Barbarei, friedliche Städte zu
bombardieren.
Ein paar Kernworte des Führers. Die Nachricht, daß die Hitlerjugend auf der
Suche sei nach Fliegern, die mit Fallschirmen abgesprungen waren. Neubauer warf
das Blatt fort und trat in den Zigarrenladen an der Ecke. »Drei Deutsche
Wacht«, sagte er.
Der Verkäufer präsentierte die Kiste. Neubauer wählte gleichgültig. Die
Zigarren waren schlecht. Reines Buchenlaub.
Er hatte bessere zu Hause, Importen, aus Paris und Holland. Er verlangte die
Deutsche Wacht nur, weil der Laden ihm gehörte.
Vor der Machtergreifung hatte er Lesser und Sacht gehört, einer jüdischen
Ausbeuterfirma.
Sturmführer Freiberg hatte ihn dann geschnappt. Hatte ihn gehabt bis 1936. Eine
Goldgrube. Neubauer biß die Spitze einer Deutschen Wacht ab. Was hatte er
dagegen tun können, daß Freiberg im Suff verräterische Bemerkungen gegen den
Führer gemacht hatte? Es war seine Pflicht als aufrechter Parteigenosse
gewesen, sie zur Meldung zu bringen. Freiberg war kurz darauf verschwunden, und
Neubauer hatte von der Witwe das Geschäft gekauft. Als einen
Freundschaftsdienst. Er hatte ihr dringend geraten, zu verkaufen. Er habe
Informationen, daß Freibergs Besitz beschlagnahmt werden solle. Geld sei
einfacher zu verstecken als ein Laden. Sie war dankbar gewesen.
Hatte verkauft. Für ein Viertel des Wertes natürlich. Neubauer hatte erklärt,
er habe nicht mehr flüssig, und es müsse rasch geschehen. Sie hatte es
eingesehen. Die Beschlagnahme war nie gekommen. Neubauer hatte ihr auch das
auseinandergesetzt.
Er habe seinen Einfluß für sie geltend gemacht. So konnte sie das Geld
behalten. Er hatte anständig gehandelt. Pflicht war Pflicht – und der Laden
hätte wirklich beschlagnahmt werden können. Außerdem wäre die Witwe unfähig
gewesen, ihn zu verwalten. Man hätte sie herausgedrückt für weniger Geld.
Neubauer nahm die Zigarre aus dem Munde. Sie zog nicht.
Dreckzeug. Aber die Leute zahlten dafür. Waren wild
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